Michael Martinek
Der faule Rechtsprofessor
- eine Entlarvung
oder: non difficile est satiram scribere
I. Die wachgerüttelte Öffentlichkeit
Mit tiefer Befriedigung darf man in diesen
universitätspolitisch turbulenten Zeiten zur Kenntnis nehmen, daß die öffentliche
Diskussion endlich einem offenbar jahrzehnte-, wenn nicht jahrhundertealten Übel -
vielleicht dem Krebsübel der Universität überhaupt - zu Leibe rückt: der Faulheit der
Professoren. Allenthalben wird heute in der Presse, im Fernsehen und im Rundfunk, wo immer
sich Journalisten oder Politiker als berufene Kenner der Materie zu Wort melden, der
Finger auf die seit langem klaffende Wunde gelegt: Die Universitätsprofessoren sind
stinkmadig faul, fauler als Beamte ohnehin, fauler noch als die Schullehrer. Mit ihren
läppischen acht Stunden Lehrverpflichtungen in der Woche während der Vorlesungszeiten -
und das bei fünf Monaten Semesterferien im Jahr - bilden die Hochschullehrer mit ihrer
zum Himmel stinkenden Faulheit einen der wichtigsten Gründe dafür, daß die
Universitäten bei uns abgewirtschaftet haben. Deshalb muß jede Universitätsreform
vordringlich darauf bedacht sein, diese Faulpelze in die Pflicht zu nehmen, um ihrem
süßen Leben des Müßiggangs ein Ende zu bereiten. Einführung von Trimestern mit
radikaler Kürzung der vorlesungsfreien Zeit, Erhöhung des Lehrdeputats auf zwölf
Stunden, Abschaffung der Beamtenstellung zugunsten kündbarer Anstellungsverhältnisse
können nur erste Schritte zur nachhaltigen Erhöhung der Qualität von Lehre und
Forschung sein.
Ein eindrucksvolles Beispiel für die Berechtigung dieser Kritik ist der Jura-Professor
P, der an einer Juristischen Fakultät einen Lehrstuhl für Bürgerliches Recht,
Handels- und Wirtschaftsrecht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung innehat
und ein wahrhaft bequemes Dasein fristet. Schauen wir uns seinen Alltag einmal genauer an.
Alltag? Den gibt es für Professor P schon gar nicht. Anders als die meisten seiner
Mitmenschen, die in den Arbeitsprozeß eingegliedert sind und von morgens bis abends mehr
oder weniger gleichförmig acht Stunden am Schreibtisch oder an der Werkbank schaffen
müssen, genießt Professor P in der Gestaltung seines Tagesablaufs eine Freiheit,
die jedenfalls für Staatsdiener ohne jede Parallele ist. Dies rechtfertigt er frech mit
den wechselnden Anforderungen seiner Tätigkeit in Forschung und Lehre, doch ist für
jedermann leicht ersichtlich, daß damit nur der Müßiggang kaschiert werden soll.
Professor P kann sogar selbst die Zeiten festsetzen, zu denen er seine acht
Pflichtstunden Lehre in der Woche abhält. Acht Pflichtstunden? In Wirklichkeit sind es
sogar nur sechs! Denn die ,,cum tempore" anberaumten Doppelstunden beginnen eine
Viertelstunde später und enden - wie zur Verhöhnung der Hörer - dann auch noch eine
Viertelstunde früher. - Doch wir wollen seinem Zeithaushalt mit detektivischer Akribie
auf die Spur kommen; wir werden alle Ausflüchte als Schutzbehauptungen eines Faultiers
entlarven.
II.
Berechnungsgrundlagen
Das Wintersemester dauert im allgemeinen von Mitte
Oktober (z.B. vom 21.10.1996) bis Mitte Februar (z.B. bis 21.2.1997), doch verkürzen sich
diese 18 Kalenderwochen wegen der zweiwöchigen Weihnachtsferien auf 16 effektive
Vorlesungswochen. Im kürzeren Sommersemester werden die 14 Kalenderwochen etwa von Mitte
April (z.B. vom 14.4.1997) bis Mitte Juli (z.B. bis 18.7.1997) de facto wegen der vielen
Feiertage um eine Woche verkürzt. Angeblich bemüht sich Professor P für
feiertagsbedingt ausgefallene Lehrveranstaltungen um Ersatztermine, aber nicht selten
scheitern solche Initiativen am ,,Raummangel". Im Ergebnis sind also von 52
Kalenderwochen sage und schreibe 23 Wochen völlig vorlesungsfrei und nur 29 Wochen
Vorlesungszeit zugrundezulegen. Da Professor P ein höchst durchschnittlicher
Faulpelz ist, gönnt er sich und seiner Familie von den 52 Kalenderwochen im Jahr 4 Wochen
Urlaub. Urlaub wovon, fragt man sich natürlich. Es bleiben 48 Arbeitswochen. Er erzählt
gern herum, daß er auch samstags und sonntags noch arbeitet. Doch wird er damit nicht
gehört, denn das ist nicht kontrollierbar. Wir gehen von einer 5-Tage-Woche und damit von
48 mal 5 gleich 240 Arbeitstagen aus. Unsere Frage lautet: Wie viele Stunden im
Durchschnitt arbeitet Professor P täglich an seinen 240 Arbeitstagen?
III.
Lehrveranstaltungen
Wie gesagt, Professor P ist pro Semesterwoche
genau genommen nur zu 6 (Zeit-) Stunden Lehrveranstaltungen verpflichtet. Das kommt ihm
scheint's selbst lächerlich oder unmoralisch vor. Denn in den vergangenen Semestern hat
er eigentlich immer mindestens 10, manchmal gar 11 oder 12 Stunden Vorlesungen und
Seminare, Kolloquien und Examinatorien angeboten, was freilich wegen der akademischen
Viertel im Durchschnitt auf nur acht (Zeit-) Stunden, d. h. auf jährlich 29 mal 8 gleich
232 Stunden hinausläuft. Schaut man noch genauer hin, muß man selbst davon noch
Abstriche machen. Alle neun Semester hat er nämlich ein ,,Forschungssemester" und
,,liest nicht"; bei den Seminarveranstaltungen hört er oft nur aufmerksam zu, redet
und unterrichtet aber höchstens in der Hälfte der Zeit; in den Übungen im Bürgerlichen
Recht ist er an den drei Klausurterminen nicht anwesend; die Übernahme einer einzigen
Klausur im Examensklausurenkurs wird gleich mit einer vollen Deputatsstunde für das
gesamte Semester veranschlagt. Hier verbirgt sich natürlich viel Müßiggang und
Arbeitsscheu. Es erscheint daher bei reeller und noch wohlwollender Betrachtung
angebracht, nur 220 intensive Arbeitsstunden im Hörsaal oder Seminarraum zugrundezulegen.
Weil sich die meisten Vorlesungen inhaltlich wiederholen und nur aktualisiert zu werden
brauchen, benötigt Professor P für deren Vorbereitung durchschnittlich nur noch
doppelt so viel Zeit wie für den Vortrag selbst, also 440 Stunden. Gewiß, als
Berufsanfänger, als er alle Vorlesungen neu ausarbeiten mußte, hatte er pro
Vortragsstunde drei- oder gar viermal solange gebraucht. Aber inzwischen ist er ein alter
Hase. Die 440 Stunden dürften sogar die Vorbereitung der einzelnen Seminarthemen
einschließen, denn diese sind oft an seine schriftstellerischen Bemühungen angelehnt, so
daß die Seminarvorbereitungen, bei denen im übrigen die Assistenten zum Einsatz kommen,
kaum mehr Zeit und intellektuellen Einsatz als die Vorlesungsvorbereitungen beanspruchen
werden. Nun gut, die rund 40 Seminararbeiten liest und bewertet er offenbar immer selbst,
so daß man ihm dafür noch 40 Stunden zugute halten mag. Das macht bisher 700 Stunden.
Die knappen Skripten zu seinen Vorlesungen (insgesamt kaum 150 Seiten) haben weitgehend
die Assistenten geschrieben, die sie auch jährlich überarbeiten; von Professor P selbst
stammt lediglich die Konzeption und die Endfassung - sagen wir 20 Stunden; für die
Überprüfung der zwei Hausarbeits- und drei Klausurvorschläge mit den Musterlösungen
der Assistenten kann man ihm ernsthaft kaum mehr als jährlich 50 Stunden gutschreiben,
wenn wir ihm einmal glauben wollen, daß er sich darüber verantwortungsvoll Gedanken
macht und die Fälle mit den Korrekturassistenten auch ausführlich bespricht; die
Kontrolle der von den vorkorrigierten Übungshausarbeiten und -klausuren (im vergangenen
Wintersemester waren es 250 Hausarbeiten und 450 Klausuren), bei der sich Professor P -
faul wie er ist - auf 10% Stichproben (70 Arbeiten) beschränkt und im übrigen nur
unterschreibt, kostet kaum mehr als 30 Arbeitsstunden. Mehr kann er keinesfalls
beanspruchen, zumal er nur entweder im Winter-oder im Sommersemester, also nur jährlich
eine einzige Anfänger- oder Fortgeschrittenen-Übung übernimmt. Rechnen wir die Klausur
des Examensklausurenkurses hinzu, die er ausnahmsweise ganz allein entworfen und zu der er
selbst eine Musterlösung verfaßt hat (sie soll demnächst in der JuS veröffentlicht
werden), kommen vielleicht noch 20 Stunden hinzu. Ach ja, 2 Wahlfachklausuren hat er auch
noch gestellt und besprochen. Diese hat er für 15 Studentinnen bzw. Studenten auch
eigenhändig korrigiert und begutachtet - wohl um sich besonders beliebt zu machen und
einen besonderen Eifer vorzugaukeln; schreiben wir ihm dafür 20 Stunden gut. Das sind
summa summarum also nur 840 Arbeitsstunden jährlich für die Lehre im engeren Sinne, das
heißt: bloße 3 1/2 Stunden pro Arbeitstag für Lehrveranstaltungen
einschließlich aller Vorbereitungen!
IV.
Bücher, Beiträge und Aufsätze
Nun ist nicht zu übersehen, daß Professor P wenigstens
literarisch nicht unambitioniert ist. Im zurückliegenden Jahrzehnt hat er neun Bücher,
darunter zwei Standardlehrbücher geschrieben (nicht einmal ein Buch pro Jahr, aber
immerhin). Er hat mehrere Kommentierungen verfaßt und vor allem eine Vielzahl von
Aufsätzen in Fachzeitschriften, einige Beiträge zu Festschriften usw. publiziert. Das
wollen wir gar nicht leugnen; die Publikationen sind leicht zugänglich und im übrigen in
den jährlichen Forschungsberichten des Universitätsrektors aufgelistet. Man kommt kaum
daran vorbei, daß Professor P durchschnittlich pro Jahr knapp 1000
Manuskriptseiten in verschiedener Form an mehr oder weniger anerkannter und von anderen
Autoren zitierter rechtswissenschaftlicher Literatur produziert. Das ist gar nichts
Besonderes, andere Kollegen schaffen dies auch, ohne viel Aufhebens davon zu machen.
Diesem Tätigkeitsbereich der, wie er es nennt, ,,Forschung" widmet er sich
natürlich nur zum kleineren Teil in seinen Diensträumen. Er arbeitet viel zu Hause, wo
er ,,seine Ruhe" hat, wo man ihn nicht kontrollieren kann und wo er gemütlich mit
Tee und Tabak am Computer hockt, nicht selten nachts, wenn die Kinder im Bett sind. Er
selbst meint, daß er durchschnittlich am Tage sieben Stunden ,,forsche", also denke,
lese und schreibe. In der vorlesungsfreien Zeit macht er oft tagelang nichts anderes:
sitzt gemütlich zu Hause, denkt, liest und schreibt. Dann will er sogar manchmal 10 oder
12 Stunden arbeiten. Wir lassen den Sinn solcher Forschung einmal außer Betracht.
Selbstredend müssen wir auch hier einen Abzug für Übertreibung und Angabe in Ansatz
bringen. So geht er ab und zu in den Garten, telephoniert zwischendurch, trinkt Tee und so
weiter. Aber immerhin sind die Ergebnisse gedruckt auf dem Tisch. Wenn er für 1
Manuskriptseite etwa 1 1/2 Stunden Zeit braucht (das muß man ihm wohl lassen; man denke
allein an die ganzen Zitate in den Fußnoten, die er zusammensuchen muß), dann schafft er
die 1000 Seiten an den 240 Arbeitstagen in etwa 6 Stunden täglichem Einsatz. Es erscheint
wohl fair, übers Jahr von durchschnittlich 6 Stunden pro Tag Schriftstellerei auszugehen.
Damit sind wir bei einem Arbeitstag von 9 1/2 Stunden.
V.
Tagungen, Vorträge, Fortbildung
Wie alle faulen Professoren ist Professor P oft verreist. Er wird mindestens dreimal im Jahr zu Vorträgen eingeladen, die er, damit er sich nicht blamiert, sorgfältig vorbereiten muß. Gewiß braucht er für einen einstündigen Vortrag zu einem neuartigen Thema durchschnittlich weniger als zwei Wochen Arbeit. Wir schätzen mal 50 Stunden pro Vortrag im Durchschnitt. Andere Angaben sind wohl aufgebauscht. Sagen wir also insgesamt 150 Stunden. Teilweise bekommt er dafür übrigens sogar noch ein separates Honorar vom Veranstalter, als würde er nicht schon von Amts wegen genug verdienen. Gelegentlich stellt er sich auch kommerziellen Seminarveranstaltern für halbtägige oder gar ganztägige Seminare und Schulungen (z. B. von Richtern, Rechtsanwälten, Managern etc.) zur Verfügung, was oft ebenfalls stundenlange Vorbereitungen, manchmal auch besondere Skripten erfordert. Er meint, ein ordentlicher öffentlicher Professor müsse sein Fach auch auf diesem Gebiet und gegenüber solchem Publikum vertreten. Wir unterdrücken unsere Zweifel an der Rechtfertigung solcher außeruniversitären Aktivitäten und schreiben Professor P jährlich 30
Arbeitsstunden hierfür gut.
Auch besucht er ausgiebig Tagungen, Kongresse und ähnliche Veranstaltungen, ohne etwa
selbst immer einen Vortrag zu halten. Von A (Arbeitskreis Kartellrecht) bis Z
(Zivilrechtslehrer-Tagung) finden jedes Jahr bestimmt fünf angeblich zeitraubende,
jedenfalls aber auch sehr gesellige Kongresse statt. Er hört dann vielfach nur zu,
beteiligt sich oft nicht einmal an der Diskussion. Immerhin repräsentiert er sein Fach
und seine Universität, hält sich auf dem laufenden, knüpft Kontakte und pflegt die
scientific community. Das ist nicht durchweg angreifbar, sondern teilweise respektabel.
Manchmal ist er drei Tage hintereinander verreist, gelegentlich sogar während der
Vorlesungszeit. Natürlich kann man nicht die gesamte Zeit als Arbeitszeit zählen, wie
Professor P es wohl gern hätte. Mit Wohlwollen sind ihm jährlich für solche
Kongreßbesuche 60 Arbeitsstunden gutzuschreiben. Für Kongresse und Vorträge investiert
Professor P nicht mehr als 240 Arbeitsstunden, also lediglich eine einzige
Arbeitsstunde am Tag.
Professor P muß sich nicht nur durch den Besuch von Tagungen, sondern vor allem
durch das Studium von Fachzeitschriften und neuen Monographien laufend über die
Entwicklungen in seinen Fächern informieren. Zugegeben, das ist nicht ganz unwichtig. Ein
Professor muß lesen, lesen und nochmals lesen. Vieles kann er aber etwa auf Reisen machen
oder abends am Kamin bei einem Glas Wein oder wenn er mit den Kindern ins Strandbad geht.
Auch hier muß man also von der tatsächlich aufgewandten Arbeitszeit Abzüge für
Konzentrationsdefizite in Ansatz bringen. Bei kritischer Würdigung kann man Professor P
nur 1 1/2 Stunden pro Arbeitstag für solche Fortbildungsmaßnahmen zugestehen. Wir
sind damit bei insgesamt 12 Stunden täglicher Arbeitszeit.
VI.
Serviceleistungen und Doktoranden
Professor P klagt darüber, daß er ,,immens viel
Zeit für Serviceleistungen" für die Studierenden aufzubringen habe. In Wirklichkeit
kann davon gar keine Rede sein. Er hat montags von 8 bis 10 Uhr Sprechstunde. Vielleicht
hat er die Zeit so unmenschlich früh gelegt, weil er auf mangelnde Nachfrage hofft. Indes
hat er die Rechnung ohne den Wirt gemacht; seine Sprechstunde ist immer voll. Manchmal
muß er noch gesonderte Termine anberaumen. Keinesfalls nimmt er sich aber pro
Semesterwoche mehr als drei Stunden Zeit für solche Sprechstunden. Zugegeben, nach den
Vorlesungen muß er manchmal noch Fragen beantworten, aber beileibe nicht immer und nie
länger als eine Viertelstunde, also höchsten 1/2 Stunde pro Woche. Weil Professor P immer
den Wohlwollenden und Studentenfreundlichen mimt, kommen die Studierenden auch oft mit dem
Wunsch nach Gutachten oder Empfehlungsschreiben zu ihm. Das hat er ausweislich sich
wiederholender Formulierungen derart routinisiert, daß es ihn pro Semesterwoche nicht
mehr als eine 1/2 Stunde Zeit kostet. Nimmt man dies alles zusammen, so läuft dies auf
nicht mehr als vier Stunden pro Semesterwoche, also bei 29 Semesterwochen auf 116 Stunden
jährlich hinaus. Er prüft am Semesterende auch die ausländischen Erasmus- bzw.
Socrates- Studierenden sowie die Nebenfach-Studierenden (Soziologie-, WiWi-Studenten usw.)
zum Stoff seiner Vorlesungen, denn diese müssen einen Extra-Schein vorweisen. Natürlich
prüft er sie aus Bequemlichkeit nur mündlich und in Gruppen. Das macht im Jahr niemals
mehr als 4 Stunden aus. Alles andere ist pure Übertreibung. Die vorgeblich so
bedrückenden Serviceleistungen sind also nur mit 120 Stunden in Rechnung zu stellen.
Man wird Professor P allerdings einräumen müssen, daß seine zahlreichen
Doktoranden eine gewisse Arbeitslast mit sich bringen: Themenwahl, gelegentliche
Besprechungen und Rücksprachen, dann die Erstgutachten,
die Disputationen oder Rigorosen. Im letzten Jahr hat er fünf Leute promoviert.
Sicherlich ist es ins Reich der selbstgefälligen Angabe zu verweisen, wenn er für die
Begutachtungen jeder Arbeit zwei volle Tage reklamiert. Wahrscheinlich braucht er in
Wirklichkeit nur einen Lektüretag pro Arbeit und dann noch ein paar Stunden für das
Gutachten. Gewiß hat er auch noch Zweitgutachten für die Doktoranden von Kollegen zu
verfassen und an den mündlichen Prüfungen teilzunehmen. Darüber zu klagen besteht kein
Grund; das ist seine Amtspflicht. Arbeitslastmäßig macht das alles im Jahr jedenfalls
nicht mehr als drei Arbeitswochen, also bei reeller Betrachtung lediglich 120 Stunden pro
Jahr aus, und zwar alles inklusive. Im letzten Jahr hat sich zwar ein Assistent
habilitiert, was angeblich eine ganze Woche zusätzlich Zeit gekostet haben soll, aber das
können wir vernachlässigen; so etwas passiert ja nicht jedes Jahr. Also:
Serviceleistungen und Doktoranden fallen nur mit 240 Stunden Arbeitsstunden pro Jahr, d.h.
mit nur einer einzigen Stunde pro Arbeitstag ins Gewicht.
VII.
Staatsexamen und Magisterprüfungen
Wir sind jetzt bei 13 Stunden Arbeit am Tag. Das
Staatsexamen schlägt natürlich zu Buche. Professor P muß durchschnittlich jedes
Jahr zwei Klausuren für das Justizprüfungsamt mit Musterlösung und Prüfervermerk
stellen. Dieser Aufgabe unterzieht er sich höchstpersönlich. Wir wollen ihm dafür 20
Stunden gutschreiben. In dieser Zeit muß das eben zu schaffen sein. Er hat rund 60
Erstgutachten und die gleiche Zahl Zweitgutachten jährlich anzufertigen. Hierbei kann er
seine Faulheit schwerlich ausleben, denn wegen der Kontrolle der Mitprüfer und wegen der
Gefahr einer gerichtlichen Überprüfung muß er sich mit den vielfach 20 und mehr Seiten
langen Klausuren besondere Mühe geben: also 1 1/2 Stunde pro Erstgutachten und 1 Stunde
pro Zweitgutachten gleich 150 Stunden, macht bisher 170 Stunden. Hinzu kommen die
mündlichen Prüfungstermine, bei denen er wohl oder übel auch dann hellwach sein muß,
wenn er nicht selbst das Prüfungsgespräch führt, sondern nur die Prüfungsgespräche
anderer verfolgt. Er hat im Jahr durchschnittlich sieben Prüfungstermine (wahrscheinlich
drückt er sich mit fadenscheinigen Ausreden um weitere Prüfungstermine) mit jeweils
fünf Prüfungsstunden und mit vielleicht einer knappen Stunde Beratung. Notgedrungen muß
er seine eigenen mündlichen Prüfungen wenigstens halbwegs vorbereiten, jedenfalls wenn
er als Erster prüft. Meist greift er dabei trickreich auf alte Unterlagen zurück. Sagen
wir, daß er jährlich 50 Stunden für das mündliche Staatsexamen aufbringt, also eine
reichliche Woche. Auf das Konto Staatsexamen gehen im Ergebnis nicht mehr als 220 Stunden
jährlich.
An den beiden Aufbaustudiengängen, die seine Fakultät zum Europarecht (Magister Iuris
Europae) und für ausländische postgraduierte Juristen (LL.M.) veranstaltet, muß
Professor P gleichfalls mitwirken. Hier geht es um die Begutachtung von
Magisterarbeiten und um die anschließenden mündlichen Prüfungen. Sein Aufwand hierfür
ist aber sehr überschaubar, auch wenn die Teilnehmerzahlen in den letzten Jahren
explodiert sind. Er verwendet dafür, wenn er ehrlich ist, wohl kaum mehr als 20 Stunden
im Jahr. Staatsexamen und Magisterprüfungen sind zusammen mit allerhöchstens 240 Stunden
jährlich, d.h. mit einer lumpigen Stunde pro Arbeitstag zu verbuchen.
VIII.
Selbstverwaltung, Goodwill-Einsatz und Repräsentation
Wir sind jetzt bei 14 Stunden Arbeit am Tag. Das
Gejammere von Professor P über die Selbstverwaltung bedarf ebenfalls der
kritischen Überprüfung. Er sitzt im Fachbereichsrat, im Kleinen Fakultätsrat, im
Großen Fakultätsrat, im Promotionsausschuß, im Senat und im Konzil. Stellvertreter ist
er in der zentralen Kommission für Studium und Lehre und - sehr selten beansprucht - in
der Haushalts- und Planungskommission. Keines dieser Gremien tagt im übrigen häufiger
als einmal monatlich (freilich nur während der Vorlesungszeit), das Konzil sogar nur
jährlich. Bei einer genauen Überprüfung ist festzustellen, daß Professor P, der
natürlich auch gelegentlich ,,kneift", wenig länger als drei Stunden pro
Vorlesungswoche in den diversen offiziellen Gremien sitzt, wobei er übrigens nicht selten
in seinen Fachzeitschriften herumblättert oder in dicken Wälzern schmökert. Schreiben
wir ihm hierfür jährlich 100 Stunden gut. Hinzu kommen allerdings die
Berufungskommissionen mit vielleicht 20 Stunden jährlich, wobei aber die Vorträge der
Kandidaten eingeschlossen sind. Macht 120 Stunden. Hinzu kommen auch die inoffiziellen
Gremien, insbesondere das monatliche Professorium, in dem die offiziellen Gremiensitzungen
vorbesprochen werden, und die Zivilrechtslehrerbesprechung, in der das Lehrprogramm und
gemeinsam interessierende Probleme unter den Kollegen diskutiert werden. Mit reichlich
zwei Stunden pro Vorlesungswoche und mit 60 Stunden jährlich ist das gewiß abgegolten.
Macht 180 Stunden. Möglicherweise lassen sich zum Selbstverwaltungsbereich im weiteren
Sinne auch die akademischen Feiern und Veranstaltungen (Ehrenpromotionen,
Gedächtnisfeiern, Jubiläen, besonderen Vorträge von Gästen, Dies Universitatis, Tag
der offenen Tür etc.) mit jährlich 20 Stunden zählen, wobei berücksichtigt ist, daß
Professor P beileibe nicht an allen diesen Veranstaltungen, zu denen er eingeladen
wird, teilnimmt.
Zusätzlich zu den bisherigen 200 Stunden will Professor P als Goodwill-Einsatz
solche Aktivitäten veranschlagt wissen, die dem Betriebsklima am Lehrstuhl und Institut
sowie in der Kollegenschaft zugute kommen oder die der Verbesserung des Kontaktes zur
Studentenschaft dienen. Hier ist freilich zu großer Zurückhaltung zu mahnen. Die
ganztägigen Ausflüge mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einmal im Jahr, das
Weihnachtsfest, den Fakultätsausflug, den Bibliotheksausflug etc. kann Professor P allenfalls
zu einem kleinen Teil als Arbeitszeit behandelt wissen wollen, mögen dabei auch
gelegentlich wichtige Dinge besprochen werden. Reduziert man all diese Aktivitäten auf
einen Kern ernsthafter fachlicher Gespräche, kommen hierbei nicht mehr als 10 Stunden pro
Jahr Arbeitszeit heraus. Großzügiger kann man mit den Geselligkeiten verfahren, die die
Studentenschaft einschließen, denn für die Studentinnen und Studenten ist das
persönliche Gespräch mit dem Hochschullehrer in privater Atmosphäre erfahrungsgemäß
besonders wertvoll. Dies betrifft etwa den regelmäßigen Umtrunk mit den
Seminarteilnehmern oder mit den von Professor P besonders betreuten Studierenden
der Wahlfachgruppen. Gönnen wir ihm hierfür also 20 Stunden Arbeitszeit pro Jahr.
Weitere 10 Stunden jährlich müssen für Repräsentationsverpflichtungen genügen, zu
denen etwa Empfänge und Mahlzeiten mit ausländischen Kollegen oder die Verabschiedung
des Präsidenten des Justizprüfungsamts zählen. Das Konto ,,Selbstverwaltung,
Goodwill-Einsatz und Repräsentation" weist also 240 Stunden pro Jahr, d.h. nur eine
einzige Stunde pro Arbeitstag auf. Womit wir bei 15 Stunden Arbeit am Tag angelangt sind.
IX.
Gastprofessuren und Auslandsreisen
Fast jedes Jahr nimmt Professor P in der
vorlesungsfreien Zeit eine mehrwöchige Gastprofessur wahr: zum Beispiel in Sofia, Prag,
aber auch Poitiers, Salamanca oder Kairo. Dafür muß er sich gehörig anstrengen, was dem
Faulpelz gar nicht schadet. Wochenlang vorher bereitet er seine Vorträge in englischer
Sprache vor, wenn auch mit Hilfe von Assistenten. Er verbrämt seine touristischen
Exkursionen mit dem Hinweis darauf, es sei wissenschaftspolitisch von besonderer
Wichtigkeit, daß er als deutscher JuraProfessor unsere Rechtskultur im Ausland fördere.
Wenn er nach Südkorea oder nach Argentinien reist, geht es ihm sogar um die europäische
Rechtskultur. Er hat bereits in ausländischen Zeitschriften schon seine Vorträge
veröffentlicht und bildet sich darauf womöglich etwas Besonderes ein. Es ist wohl klar,
daß man nicht die gesamte hierfür aufgewendete Zeit ernsthaft als Arbeitszeit in Ansatz
bringen kann, denn er erschließt sich damit ja auch rein private Freizeitwerte.
Ähnliches gilt für die Auslandsreisen, die Professor P manchmal zu den
ausländischen Partneruniversitäten unternimmt, um dort die studentischen
Austauschbeziehungen zu besprechen. Bei einer reellen Bewertung all dieser Aktivitäten
erscheint es gerechtfertigt, sie mit etwa sechs Wochen im Jahr oder mit 240 Arbeitsstunden
zu bewerten. Dies entspricht im Jahresdurchschnitt einer lausigen Stunde Arbeit am Tag.
Damit sind wir bei einer Arbeitszeit von 16 Stunden am Tag - womit er für seine
lukrativen privaten Rechtsgutachten für großindustrielle Auftraggeber doch weiß Gott
genügend Zeit übrig hat.
X.
Der Gipfel
Es muß eingeräumt werden, daß wir unserem
,,beispielhaften" Professor P vielleicht manchmal allzu kleinlich seine
maßlosen Übertreibungen entgegengehalten und ihn hier oder dort womöglich in allzu enge
zeitliche Schranken für seine Amtspflichten verwiesen haben. Immer haben wir ab-, nie
aufgerundet; für jeden Teilbereich haben wir die kürzest mögliche Zeiteinheit
kalkuliert, die noch vertretbar ist. Aber selbst wenn man weniger restriktiv verfährt,
weniger penibel nachrechnet und ihm noch eine ,,Pauschale" für sonstige Zeitopfer
zugutehält, arbeitet er im Jahresdurchschnitt nicht mehr als allerhöchstens 25 Stunden
täglich - reine Arbeitszeit. Man bedenke, daß noch im vorigen Jahrhundert in englischen
Bergwerken sogar Kinder bis zu 16 Stunden arbeiteten. Ich frage: Ist die Universität ein
Bergwerk? Und ist Professor P etwa ein Kind? Unlängst sah ich den Nichtstuer
übrigens mit friedlich-verklärtem Gesichtsausdruck auf dem Campus in der Sonne auf einer
Bank sitzen. Ich dachte gleich: der sonnt sich in seiner Faulheit. Er selbst meinte, daß
er auf dem Rückweg von der Mensa einen kleinen Stich im Herzen gespürt habe und sich
ausruhen müsse. Das ist doch wohl der Gipfel!
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