Jürgen Bröhmer
Das Bundesverfassungsgericht und sein Verhältnis zum Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften[*]
G l i e d e r u n g | |
I. | Vorbemerkung |
II. | Die Europäische Union als Rechtsgemeinschaft |
1. | Das Prinzip der enumerativen Einzelermächtigung |
2. | Der Vorrang des Gemeinschaftsrechts |
3. | Die unmittelbare Wirkung von Gemeinschaftsrecht |
4. | Der Schutz der Grundrechte in der EU |
5. | Der institutionelle Rahmen dieser Rechtsgemeinschaft |
6. | Zwischenergebnis |
III. | Konfliktpotential Grundrechtsschutz |
1. | Der frühe Lösungsansatz des BVerfG |
2. | Das Maastricht-Urteil des BVerfG |
3. | Testfall Bananenmarktordnung |
4. | Fazit |
IV. | Konfliktpotential Kompetenzverteilung |
1. | "Effet Utile" |
2. | Art. 235 - eine Generalermächtigung? |
3. | Funktionelle Kompetenzen |
4. | Testfall Tabakwerbeverbot |
5. | Fazit |
V. | Abschließende Bewertung und Ausblick: Kooperation oder Konflikt? |
I. Vorbemerkung
In dem Urteil des
Bundesverfassungsgerichts zum Vertrag von Maastricht über die Gründung
der Europäischen
Union[1] finden sich
zwei Aussagen, die das Thema dieses Beitrags verdeutlichen. Zunächst stellt
das BVerfG mit Blick auf den Schutz der Grundrechte des GG
fest:
"Auch Akte einer besonderen, von der
Staatsgewalt der Mitgliedstaaten geschiedenen öffentlichen Gewalt einer
supranationalen Organisation betreffen die Grundrechtsberechtigten in
Deutschland. Sie berühren damit die Gewährleistungen des Grundgesetzes
und die Aufgaben des Bundesverfassungsgerichts, die den Grundrechtsschutz in
Deutschland und insoweit nicht nur gegenüber deutschen Staatsorganen zum
Gegenstand haben (...). Allerdings übt das Bundesverfassungsgericht seine
Gerichtsbarkeit über die Anwendbarkeit von abgeleitetem Gemeinschaftsrecht
in Deutschland in einem "Kooperationsverhältnis" zum Europäischen
Gerichtshof aus, in dem der Europäische Gerichtshof den Grundrechtsschutz
in jedem Einzelfall für das gesamte Gebiet der Europäischen
Gemeinschaften garantiert, das Bundesverfassungsgericht sich deshalb auf eine
generelle Gewährleistung der unabdingbaren Grundrechtsstandards (...)
beschränken kann."[2]
Wenn das BVerfG Akte der
Europäischen Gemeinschaften an den deutschen Grundrechten messen will, dann
impliziert dies, daß ein solcher Hoheitsakt der EG ggf. auch wegen
Verstoßes gegen deutsche Grundrechte in Deutschland keine Rechtswirkungen
entfalten kann. Damit wäre der elementare Grundsatz vom Vorrang des
Gemeinschaftsrechts außer Kraft gesetzt. Was bedeutet in diesem Lichte das
vom BVerfG so benannte "Kooperationsverhältnis" mit der Aufgabenteilung
zwischen "jedem Einzelfall" und der "generellen Gewährleistung der
unabdingbaren Grundrechtsstandards"?
Bezüglich der Ausübung von
Hoheitsbefugnissen durch die EG stellt das BVerfG fest:
"Würden etwa europäische
Einrichtungen oder Organe den Unions-Vertrag in einer Weise handhaben oder
fortbilden, die von dem Vertrag, wie er dem deutschen Zustimmungsgesetz zugrunde
liegt, nicht mehr gedeckt wäre, so wären die daraus hervorgehenden
Rechtsakte im deutschen Hoheitsbereich nicht verbindlich. Die deutschen
Staatsorgane wären aus verfassungsrechtlichen Gründen gehindert, diese
Rechtsakte in Deutschland anzuwenden. Dementsprechend prüft das
Bundesverfassungsgericht, ob Rechtsakte der europäischen Einrichtungen und
Organe sich in den Grenzen der ihnen eingeräumten Hoheitsrechte halten oder
aus ihnen ausbrechen (...)."[3]
Mit diesem – fast schon drohenden
– Satz stellt das BVerfG klar, daß die Entscheidung, ob die EG ihre
Handlungen auf eine vertraglich eingeräumte Ermächtigungsnorm
stützen kann oder sich einer solchen nur berühmt letztlich von ihm
selbst getroffen wird. Bedenkt man, daß gemäß Art. 164 EGV der
EuGH in Luxemburg für die Auslegung der Verträge zuständig ist
und damit auch für die Entscheidung der Frage, ob eine Vertragsvorschrift
ein Handeln der EG trägt oder nicht, so wird die in dieser Aussage liegende
potentielle Kampfansage der Bundesverfassungsrichter an die Kollegen in
Luxemburg deutlich.
Im folgenden soll dem Bedeutungsgehalt
dieser Aussagen des BVerfG nachgegangen werden. Dabei ist zunächst
notwendig, die grundlegenden Funktionsprinzipien der EU darzustellen. Im
Anschluß daran werden die beiden Bereiche Grundrechtsschutz und
Kompetenzverteilung näher beleuchtet.
II. Die Europäische Union als Rechtsgemeinschaft
"Aus alledem ist zu schließen,
daß die Gemeinschaft eine neue Rechtsordnung des Völkerrechts
darstellt, zu deren Gunsten die Staaten, wenn auch in begrenztem Rahmen, ihre
Souveränitätsrechte eingeschränkt haben, eine Rechtsordnung,
deren Rechtssubjekte nicht nur die Mitgliedstaaten, sondern auch die Einzelnen
sind"[4]
1. Das Prinzip der enumerativen Einzelermächtigung
Ebenso wie es in einem Bundesstaat
unabdingbar ist, die Ausübung der hoheitlichen Befugnisse jeweils der
Zentrale (dem Bund) bzw. den konstituierenden Gliedstaaten (den Ländern)
zuzuordnen, muß auch in einem
"Staatenverbund"[5]
wie der Europäischen Union eine Kompetenzverteilung stattfinden. Sowohl
für die EG als auch für die EU folgt die in den Verträgen
vorgenommene Kompetenzverteilung dem Prinzip der begrenzten
Einzelermächtigung. Das bedeutet, die EG nur dann tätig werden
kann, wenn eine Vorschrift in den Verträgen ein solches Tätigwerden
explizit
vorsieht.[6] Der
Schluß von der Aufgabe (Art. 2 EGV) auf eine dahingehende
Handlungsbefugnis ist nicht zulässig. Das
Subsidiaritätsprinzip[7]
(Art. 3 b Abs. 2 EGV) und der
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (Art. 3 b Abs. 3 EGV)
ergänzen das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung. Es handelt
sich dabei um Kompetenzausübungsschranken, die bei ihrem Eingreifen ein
Handeln der EG selbst dann ausschließen, wenn eine Handlungsbefugnis der
EG aus dem EGV an sich ableitbar wäre.
2. Der Vorrang des Gemeinschaftsrechts
Der Grundsatz des Vorrangs des
Gemeinschaftsrechts bedeutet, daß sowohl das primäre
Gemeinschaftsrecht[8],
als auch das sekundäre
Gemeinschaftsrecht[9]
jedem nationalen Recht, also auch dem nationalen Verfassungsrecht, vorgeht.
Schon 1964 hat der EuGH im Fall Costa/ENEL entschieden, daß die
Verträge eine eigenständige und autonome Rechtsquelle darstellen und
daß den Vertragsvorschriften deshalb "keine wie immer gearteten
innerstaatlichen Rechtsvorschriften vorgehen können", wolle man nicht die
Rechtsgrundlage der Gemeinschaft selbst in Frage
stellen.[10] In
der Entscheidung Internationale Handelsgesellschaft hat der EuGH
diese Feststellung dahingehend präzisiert, daß die Gültigkeit
von Gemeinschaftsrecht auch dann nicht in Frage gestellt werden kann, wenn
geltend gemacht wird, daß Grundrechte oder grundlegende Strukturprinzipien
einer nationalen Verfassung verletzt
seien.[11] Im
Gegensatz zu einem Bundesstaat, bei dem das Bundesrecht das nachgeordnete Recht
der einzelnen Länder schlechthin
bricht[12],
genießt das Gemeinschaftsrecht jedoch nur einen Anwendungsvorrang im
Einzelfall.
3. Die unmittelbare Wirkung von Gemeinschaftsrecht
Völkerrechtliche Verträge, und
um solche handelt es sich auch bei den Gemeinschaftsverträgen, berechtigen
und verpflichten grundsätzlich nur die Staaten, die sie abgeschlossen
haben. Es ist nicht selbstverständlich, daß die Bürger dieser
Staaten daraus Rechte für sich ableiten und diese gegen ihren eigenen oder
gegen einen anderen Vertragsstaat geltend machen können. Allerdings ist
völkerrechtlich anerkannt, daß völkerrechtliche Verträge
durchaus Rechte und Pflichten nicht nur für Vertragsstaaten sondern auch
für einzelne begründen können, wenn dies dem objektiven Zweck des
Vertrages und der Absicht der vertragsschließenden Parteien entspricht.
Mag man auch bei Abschluß der Gemeinschaftsverträge in den
fünfziger Jahren eine solche Wirkung nicht unbedingt vorausgesehen haben,
so ist diese doch in den Verträgen sichtbar
angelegt.[13] Die
Unionsbürger können mithin unmittelbar aus den Vorschriften der
Gemeinschaftsverträge Rechte ableiten. Hauptanwendungsfall dafür sind
die Grundfreiheiten der Europäischen Gemeinschaft, die Freiheit des Waren-,
Dienstleistungs- und Kapitalverkehrs sowie die Freizügigkeit der
Personen.
Im Rahmen des Sekundärrechts
unproblematisch ist die unmittelbare Wirkung von Verordnungen, ist sie doch in
Art. 189 Abs. 2 EGV expressis verbis angeordnet. Eine EG-Verordnung gilt wie ein
nationales Gesetz nach Verabschiedung durch die zuständigen EG-Organe und
Veröffentlichung im Amtsblatt der EG bzw. nach einem dort genannten
Zeitpunkt des Inkrafttretens. Es bedarf keiner weiterer Handlungen des
nationalen Gesetzgebers mehr.
Problematischer hingegen ist die
unmittelbare Wirkung von
Richtlinien.[14]
Art. 189 Abs. 3 EGV bestimmt, daß die Richtlinie für jeden
Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden
Zieles verbindlich ist, dem Mitgliedstaat jedoch die Wahl der Form und der
Mittel zur Erreichung dieses Zweckes obliegt. Der nationale Gesetzgeber
muß eine Richtlinie durch einen eigenen Gesetzgebungsakt zuerst in das
nationale Recht umsetzen. Dennoch ist seit langem anerkannt, daß auch
Richtlinien unmittelbar, d.h. ohne dazwischentretendes nationales Gesetz, Rechte
für einzelne Bürger begründen
können.[15]
Ein Mitgliedstaat soll einem Bürger, der sich auf ein ihm in einer
Richtlinie eindeutig gewährtes subjektives Recht berufen will, nicht
entgegenhalten können, er habe die Richtlinie noch nicht in sein nationales
Recht umgesetzt. Der mitgliedstaatliche Rekurs auf gemeinschaftsrechtswidriges
Verhalten ist damit ausgeschlossen. Mit dieser Ausdehnung der Richtlinienwirkung
wollte der EuGH vertragswidriges Verhalten der Mitgliedstaaten – ein
solches stellt die nicht fristgemäße oder inhaltlich falsche
Umsetzung einer Richtlinie dar –
sanktionieren.[16]
4. Der Schutz der Grundrechte in der EU
Als Rechtsgemeinschaft kann man nur eine
Gemeinschaft bezeichnen, die die fundamentalen Rechte der Menschen schützt,
die diese Gemeinschaft bilden und die von dem Handeln dieser Gemeinschaft
betroffen sind. Als die Römischen Verträge 1957 geschlossen wurden und
am 1. Januar 1958 in Kraft traten, war nicht absehbar, welche
Integrationsdynamik dadurch freigesetzt worden war. Man verstand die
Gemeinschaft – und so hieß sie ja damals auch – als
Wirtschaftsgemeinschaft, so daß die Notwendigkeit der Verankerung eines
Grundrechtskatalogs im E(W)GV nicht evident
war.[17]
Dessen ungeachtet wurden aber schon in
den ursprünglichen Verträgen grundrechtliche Positionen
geschützt, d.h. Rechtspositionen für die Bürger geschaffen, die
im nationalen Rechtsrahmen (Teil-)Aspekte bestimmter Grundrechte darstellen. Das
gilt z.B. für das allgemeine Diskriminierungsverbot (Art. 6 EGV), die
Freizügigkeit für Arbeitnehmer (Art. 48 ff. EGV), die
Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit (Art. 52 ff., 59 ff), die
Freiheit des Kapitalverkehrs (Art. 67, 73a EGV ff.) oder die spezielle
Pflicht zur Gleichbehandlung von Mann und Frau bezüglich des
Arbeitsentgelts (Art. 119 EGV). Durch den Vertrag von Maastricht
hinzugekommen sind das allgemeine Aufenthaltsrecht (Art. 8a EGV) und das
Wahlrecht für Kommunalwahlen und Wahlen zum Europäischen Parlament
(Art. 8b EGV).
Mit fortschreitender Integration hat der
EuGH darüber hinaus Grundrechte als allgemeine Rechtsgrundsätze des
Gemeinschaftsrechts aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der
Mitgliedstaaten entnommen
(entwickelt).[18]
Allerdings genügt das bloße Vorhandensein einer grundrechtlichen
Position in einer mitgliedstaatlichen Verfassung nicht für die Entstehung
eines gemeinschaftsrechtlichen Grundrecht. Andererseits müssen auch nicht
alle Mitgliedstaaten ein bestimmtes Recht anerkennen, bevor dieses Recht
gemeinschaftsrechtlich gewährt werden kann. Der EuGH hat diesen Ansatz auch
auf die Europäische Konvention zum Schutze der Grundfreiheiten und
Menschenrechte von 1950 und auf andere internationale Verträge mit
grundrechtlichem Gehalt, denen die Mitgliedstaaten beigetreten sind oder die sie
unterzeichnet haben,
ausgedehnt.[19]
Diese Rechtsprechung ist mit dem Maastrichter Vertrag durch Art. F Abs. 2 EUV
primärrechtlich übernommen worden. Danach achtet die Union – und
damit auch die EG - die Grundrechte, wie sie in der EMRK gewährleistet sind
und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der
Mitgliedstaaten als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts ergeben.
Auf diese Weise fanden u.a. das Grundrecht auf
Vereinigungsfreiheit[20],
die
Kommunikationsfreiheit[21],
die
Religionsfreiheit[22],
der Schutz des Lebens und der körperlichen
Unversehrtheit[23]
und der Schutz des Privatlebens (Achtung der Privatsphäre und des
Familienlebens)[24]
Eingang in die
Gemeinschaftsrechtsordnung.[25]
5. Der institutionelle Rahmen dieser Rechtsgemeinschaft
Diese vier Fundamentalprinzipien werden
durch die institutionelle Struktur der Gemeinschaft abgesichert. Im Mittelpunkt
stehen dabei der Ministerrat als "Hauptgesetzgebungsorgan" der
EG[26] und der
EuGH als Kontrollinstanz.
Was den Vorrang des Gemeinschaftsrechts
und seine unmittelbare Wirkung angeht, ist der EuGH als Rechtsprechungsorgan die
zentrale Überwachungsinstanz. Dabei wird er durch die Kommission
unterstützt, die gem. Art. 169 EGV Vertragsverletzungsverfahren gegen
Mitgliedsstaaten einleiten kann. Vor allem aber wird der EuGH dabei durch die
Gerichte der Mitgliedstaaten unterstützt, die im Wege des Vorlageverfahrens
(Art. 177 EGV) dem EuGH Gelegenheit geben, die Einhaltung der genannten
Grundprinzipen (Vorrang, unmittelbare Anwendbarkeit und Grundrechte) zu
überwachen.[27]
Die institutionelle Absicherung des
Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung und damit der
Kompetenzabgrenzung zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten gestaltet
sich etwas schwieriger. Die Verantwortung für Beschlüsse auf
Gemeinschaftsebene ist breit gestreut. Zunächst muß die das
Initiativrecht ausübende Kommission eine tragfähige Rechtsgrundlage
für ihre Gesetzgebungsvorschläge finden. Die Hauptverantwortung trifft
jedoch den Ministerrat, in dem die Mitgliedstaaten am unmittelbarsten ihren
Einfluß geltend machen können, denn der Rat setzt sich aus je einem
Vertreter jedes Mitgliedstaats zusammen (Art. 146 Abs. 1 EGV). Darüber
hinaus können die Gemeinschaftsorgane und die Mitgliedstaaten vor dem EuGH
Nichtigkeitsklage gegen jeden Gesetzgebungsakt mit der Begründung erheben,
es fehle an einer Einzelermächtigung in den Verträgen (Art. 173 EGV).
Schließlich können die Mitgliedstaaten als "Herren der Verträge"
durch Änderung der Gründungsverträge – dies ist allerdings
nur möglich, wenn alle Mitgliedstaaten zustimmen - jederzeit Kompetenzen
"zurückholen".
6. Zwischenergebnis
Der kurze Überblick hat gezeigt,
daß das grund- und kompetenzrechtliche Konfliktpotential im
Verhältnis der Gemeinschaft zu den Mitgliedstaaten in den
Gründungsverträgen und in der Rechtsprechung des EuGH durchaus eine
angemessene Berücksichtigung gefunden hat. Das Problem der Kompetenz- und
damit Machtverteilung zwischen Mitgliedstaaten und Gemeinschaft wurde mit dem
Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung zumindest auf dem Papier
zugunsten der Mitgliedstaaten entschieden, die auch institutionell, vor allem
über den Ministerrat, ganz entscheidend das gemeinschaftliche
Handlungsinstrumentarium kontrollieren. Auch der EuGH als
Streitschlichtungsorgan kann Kompetenzüberschreitungen unterbinden, wenn
er, z.B. von einem Mitgliedstaat, angerufen wird. Darüber hinaus sichert
der EuGH, in Zusammenarbeit mit den Gerichten der Mitgliedstaaten, die
Unionsbürger über den Grundsatz des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts
sowohl vor Eingriffen der Mitgliedstaaten in die gemeinschaftsrechtlich
gewährten subjektiven Rechte (z.B. die Marktfreiheiten) und sorgt
gleichzeitig über den von ihm gewährten gemeinschaftsrechtlichen
Grundrechtsstandard dafür, daß das unmittelbar für den
Bürger geltende Gemeinschaftsrecht eben diesen Bürger nicht in seinen
dem Zugriff des Gemeinschaftsgesetzgebers entzogenen Rechten
beeinträchtigt.
III. Konfliktpotential Grundrechtsschutz
Der EuGH sichert zwar wie dargestellt
die Grundrechte der Unionsbürger. Was aber, wenn er dies in einer Weise
tut, die hinter den Schutz zurückfällt, den das BVerfG in
vergleichbaren innerstaatlichen Fällen gewähren würde?
Müssen die Deutschen einen Eingriff in ein grundgesetzlich garantiertes
Grundrecht durch einen gemeinschaftlichen Rechtsakt hinnehmen, wenn ein
identischer deutscher Rechtsakt vom Bundesverfassungsgericht wegen eines
vergleichbaren Grundrechtsverstoßes kassiert würde?
1. Der frühe Lösungsansatz des BVerfG
Das BVerfG hat die Frage zunächst
(1967) mit einem klaren "ja" beantwortet. Die damals noch als
Wirtschaftsgemeinschaft firmierende EWG bilde eine selbständige
Rechtsordnung, die von der deutschen Rechtsordnung zu unterscheiden sei. Eine
unmittelbar wirkende Rechtsnorm (Verordnung) der EWG könne nicht als
Ausfluß deutscher Staatsgewalt angesehen werden. Für
Verfassungsbeschwerden unmittelbar gegen Rechtsakte der Gemeinschaft sei man
daher nicht
zuständig.[28]
Der Betroffene muß den – vermeintlichen - Eingriff
hinnehmen.
Damit war das Problem aber keineswegs
gelöst. EG-Verordnungen gelten zwar unmittelbar, d.h. es bedarf keines
Handelns der nationalen Gesetzgeber mehr. Aber ebenso wie bei innerstaatlichen
Gesetzen bedeutet das nicht, daß die Verwaltung entbehrlich wäre. Was
das Gesetz (die EG-Verordnung) generell-abstrakt formuliert, muß die
Verwaltung in eine konkrete Einzelfallentscheidung umsetzen. Die EG verfügt
aber mit ganz wenigen Ausnahmen nicht über eine eigene
gesetzesausführende Verwaltung. Sie bedient sich vielmehr
grundsätzlich der Verwaltungen der Mitgliedstaaten. Die konkreten
Einzelfallentscheidungen der jeweils zuständigen deutschen Behörden
stellen aber sehr wohl Handlungen der deutschen öffentlichen Gewalt dar. In
der berühmten "Solange-I"-Entscheidung von 1974 hat das Gericht mit dieser
Argumentation die Zuständigkeitshürde überwunden und sich die
Beurteilung der Vereinbarkeit der gemeinschaftsrechtlichen Norm, auf deren
Grundlage die nationale Verwaltung den Vollzugsakt erlassen hatte, mit dem
Grundgesetz vorbehalten, solange das Gemeinschaftsrecht keine dem
Grundgesetz adäquaten Grundrechtskatalog
enthält.[29]
Zwölf Jahre später erging die
ebenso berühmte "Solange-II"-Entscheidung, in der das BVerfG
feststellte:
"Solange die Europäischen
Gemeinschaften, insbesondere die Rechtsprechung des Gerichtshofs der
Gemeinschaften einen wirksamen Schutz der Grundrechte gegenüber der
Hoheitsgewalt der Gemeinschaften generell gewährleisten, der dem vom
Grundgesetz als unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutz im wesentlichen
gleichzuachten ist, zumal den Wesensgehalt der Grundrechte generell
verbürgt, wird das Bundesverfassungsgericht seine Gerichtsbarkeit über
die Anwendbarkeit von abgeleitetem Gemeinschaftsrecht, das als Rechtsgrundlage
für ein Verhalten deutscher Gerichte und Behörden im Hoheitsbereich
der Bundesrepublik Deutschland in Anspruch genommen wird, nicht mehr
ausüben und dieses Recht mithin nicht mehr am Maßstab der Grundrechte
des Grundgesetzes
überprüfen;"[30]
Mit "Solange-II" hatte die Ausgangsfrage
eine Antwort befunden. Im Einzelfall sind – gemessen am internen deutschen
Maßstab – Grundrechtsverletzungen durch Gemeinschaftsakte auch dann
hinzunehmen, wenn sie auf deutsche Verwaltungsbehörden zurückgehen,
die das Gemeinschaftsrecht vollziehen, weil der gemeinschaftliche
Grundrechtsschutz aufs Ganze gesehen dem deutschen Standard ebenbürtig ist.
Verknüpft wurde dies mit dem Vorbehalt, daß der Grundrechtsschutz
durch den EuGH auf dem qualitativ vergleichbaren Niveau verbleiben müsse
(solange) und damit mit einer Warnung an den EuGH: Das BVerfG steht
zurück, solange der EuGH gut arbeitet und was gut ist, entscheidet das
BVerfG.
2. Das Maastricht-Urteil des BVerfG
Im Maastricht-Urteil ist das BVerfG nur
in einem Punkt von dieser Linie abgewichen und hat seinen Kontrollanspruch
ausdrücklich auf Akte der Gemeinschaft ausgedehnt, bei denen kein deutscher
Hoheitsakt als Anknüpfungspunkt vorliegt. Auch nicht deutsche Hoheitsakte
betreffen den Grundrechtsberechtigten in Deutschland und berührten damit
die Schutzaufgabe des BVerfG.
Das BVerfG übe seine Aufgabe jedoch
in Kooperation mit dem EuGH
aus.[31] Dieser
gewährleiste den Grundrechtsschutz "im Einzelfall", das BVerfG
beschränke sich auf die "generelle Gewährleistung" der unabdingbaren
Grundrechtsstandards. Für unabdingbar hält das BVerfG dabei den
Wesensgehalt der
Grundrechte.[32]
Der Begriff vom Wesensgehalt eines Grundrechts entstammt dem Art. 19 Abs. 2 GG.
Jedes den Einzelnen belastende hoheitlich Handeln stellt einen Eingriff in ein
Grundrecht dar, kann aber dennoch unter bestimmten Bedingungen zulässig
sein. Der Begriff des Wesensgehalts definiert dagegen den Teil der
Grundrechtsverbürgung, der der öffentlichen Gewalt schlechthin
entzogen ist. Der Wesensgehalt, der für jedes Grundrecht gesondert zu
bestimmen ist, bildet eine äußerste Grenze des staatlichen
Zugriffs.[33]
Im Ergebnis sind die
grundrechtsrelevanten Aussagen im Maastricht-Urteil eine Bestätigung des
Solange-II
Urteils.[34] Der
Grundrechtsschutz wird durch den EuGH "in jedem Einzelfall" ohne
Dazwischentreten des BVerfG solange gewährt, wie die Wesensgehaltsgrenze
nicht tangiert wird. Ob und wann dies der Fall ist, entscheidet das BVerfG: Der
Vorrang des Gemeinschaftsrechts findet eine Grenze im Wesensgehalt der deutschen
Grundrechte.
3. Testfall Bananenmarktordnung
Am 1. Juli 1993 trat die Verordnung
über die gemeinsame Marktorganisation für Bananen in Kraft und damit
eines der bisher und über die EG hinaus wohl umstrittensten Regelwerke der
Gemeinschaft.[35]
Diese Verordnung bezweckt die Bevorzugung von Bananen aus bestimmten
Herkunftsgebieten gegenüber den marktbeherrschenden "Dollarbananen", die
vor allem aus Ländern Mittelamerikas und Ecuador eingeführt werden.
Dieses Ziel versucht die Verordnung durch die Einrichtung von Zöllen und
(de-facto) Kontingenten und ein kompliziertes Vergabesystem für
Einfuhrlizenzen zu erreichen. Insbesondere für die (bisherigen) Importeure
von Dollarbananen bedeutete das neue Regime einen erheblichen Eingriff in ihre
Geschäftstätigkeit bis hin zur Existenzbedrohung. Solche
Maßnahmen wären innerstaatlich an den Art. 14 GG (Eigentumsschutz)
und 12 GG (Berufsfreiheit) zu messen.
Der EuGH hat in einer Entscheidung von
1994 die Verordnung für rechtmäßig gehalten und eine Verletzung
entsprechender allgemeiner Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts
verneint.[36]
Diese Entscheidung ist auf erhebliche Kritik gestoßen. Insbesondere die
Berufsausübungsfreiheit sei vom EuGH nicht ausreichend gewürdigt
worden und eine akzeptable Prüfung des Grundsatzes der
Verhältnismäßigkeit sei unterblieben. Statt dessen habe der EuGH
allzusehr den weiten Ermessensspielraum des Gemeinschaftsgesetzgebers
betont.[37] Das
Argument des EuGH vom weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers reflektiert
zwar nicht nur das demokratische (Mehrheits-) Prinzip sondern auch die Tatsache,
daß die Gemeinschaft eine Einrichtung souveräner Staaten darstellt,
ist aber der natürliche Feind eines ausgeprägten Grundrechtsschutzes.
Grundrechte sind als Abwehrrechte der Bürger gegen den Staat
Minderheitenschutzrechte. Je weiter der Gestaltungsspielraum der Mehrheit, desto
geringer der autonome, dem hoheitlichen Eingriff entzogene Bereich der
Bürger.
Hat der EuGH mit seiner Entscheidung zur
Bananenmarktordnung die Grundrechte in einem Maße mißachtet, der das
BVerfG nach eigener Einschätzung zur Verteidigung des "unabdingbaren"
Grundrechtsstandards zum Einschreiten verpflichtet? Dieser Meinung ist das
Verwaltungsgericht Frankfurt. In einem Normenkontrollantrag (Art. 100 Abs. 1 GG)
an das BVerfG hat das VG die Ansicht vertreten, die Vorschriften der
Bananenmarktordnung dürften in Deutschland wegen Verstoßes gegen
deutsche Grundrechte nicht angewendet
werden.[38]
Noch hat das BVerfG nicht entschieden.
Ist die hier vertretene Konzeption jedoch richtig, wird das BVerfG der Meinung
des VG Frankfurt nicht folgen. Selbst wenn man unterstellt, daß die
Bananenmarktordnung deutsche Grundrechte verletzt, so erreicht diese Verletzung
weder für sich betrachtet noch im Verhältnis zum insgesamt bestehenden
Grundrechtsstandard ein Niveau, das es rechtfertigen würde von einer
Verletzung des Wesensgehalts eines Grundrechtes (etwa der Berufsfreiheit) zu
sprechen. Es ist daher schwer vorstellbar, daß das BVerfG diese Sache zum
Anlaß nehmen wird, die Gemeinschaft als Rechtsgemeinschaft in eine
Existenzkrise zu stürzen.
4. Fazit
Die Haltung des BVerfG zur Frage des
Grundrechtsschutzes gegenüber Rechtsakten der Gemeinschaft ist rechtlich
außerordentlich problematisch. Es gibt im nationalen Recht keine Grundlage
für die "Solange"-Konstruktion des Gerichts, nach der eine – folgt
man dem Gericht – bestehende Prüfungskompetenz unter bestimmten
Bedingungen nicht ausgeübt wird. Das BVerfG ist entweder zur Prüfung
durch das GG und/oder einfache Gesetze (BVerfGG) befugt und dann auch
verpflichtet, oder nicht. Die Befugnis, die Einhaltung der
Gemeinschaftsverträge und damit auch der Gemeinschaftsgrundrechte zu
überprüfen ist durch das Zustimmungsgesetz zu diesen Verträgen
und damit auch zu Art. 164 EGV ("Der Gerichtshof sichert die Wahrung des Rechts
bei der Auslegung und Anwendung dieses Vertrags") an die Gemeinschaft und damit
an den EuGH abgetreten worden. Der Vorrang des Gemeinschaftsrechts gilt
absolut.
Allerdings ist die Abtretung von
Befugnissen an eine internationale Gemeinschaft nicht grenzenlos möglich,
wie nunmehr Art. 23 GG zeigt. Stellt sich heraus, daß der Beitritt zu
einer solchen Gemeinschaft im Beitrittszeitpunkt innerhalb dieser Grenzen
stattfand, daß aber sukzessive eine diese Grenzen sprengende Entwicklung
stattgefunden hat, dann bietet das allgemeine Völkerrecht
Korrekturinstrumente an. Letztendlich kann sich ein Mitgliedstaat unter Berufung
auf den völkerrechtlichen Wegfall der Geschäftsgrundlage ("clausula
rebus sic stantibus") im Extremfall aus einem solchen Vertragswerk lösen
oder in Verhandlungen mit den Partnern weniger scharfe Konsequenzen suchen.
Diese Konsequenz zu ziehen ist Sache (und Risiko!) des Mitgliedstaates und der
Mitgliedstaat hat zu entscheiden, welchem Verfassungsorgan (Bundesregierung,
Parlament, BVerfG) die Feststellung einer solchen Lage obliegt. In diesem Sinne
wäre eine Entscheidung des BVerfG zu verstehen, mit der ein Hoheitsakt der
Gemeinschaft wegen Verstoßes gegen deutsche Grundrechte seiner
innerstaatlichen Geltung beraubt würde. Das Risiko einer solchen
Vorgehensweise trägt der jeweilige Mitgliedstaat. Könnte sie sich mit
ihrer Position gegenüber den Partnern nicht
durchsetzen[39],
wäre die Nichtbeachtung des Gemeinschaftsrechtsakts wegen eines
innerstaatlichen Grundrechtsverstoß als Vertragsbruch und somit als
Verletzung des Völkerrechts zu qualifizieren und die Bundesrepublik
unterläge den völkerrechtlichen Haftungsfolgen.
IV. Konfliktpotential Kompetenzverteilung
Das Problem der Machtbalance zwischen
den konstitutiven Teilen eines mehrgliedrigen Gebildes und der Zentrale (im
Bundesstaat zwischen Bund und Ländern bzw. Einzelstaaten oder Kantonen, in
der Gemeinschaft zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaten) ist
keineswegs auf die Gemeinschaft beschränkt. Allenthalben wird eine
zunehmende Zentralisierung
konstatiert.[40]
Im Falle der Gemeinschaft kommt hinzu, daß eine Reihe von Mitgliedsstaaten
der Gemeinschaft (z.B. Frankreich, Italien) über eine ausgeprägt
zentralstaatliche Tradition verfügen und daher für "bundesstaatliche
Bedenken" weniger offen sind.
Das Prinzip der begrenzten
Einzelermächtigung als tragendes Grundprinzip der Gemeinschaft wurde schon
gewürdigt. Die in den anfangs zitierten Äußerungen des BVerfGs
zum Ausdruck kommende Kritik der Kompetenzanmaßung seitens der
Gemeinschaft wird meist mit folgenden Spezifika der Gemeinschaftsverträge
in Zusammenhang gebracht: Dem Auslegungsgrundsatz des "effet utile", dem
funktionellen Charakter der vertraglichen Kompetenznormen und mit der
"Lückenfüllungskompetenz" des Art. 235 EGV.
1. "Effet Utile"
Die Gemeinschaft verfügt nicht
über einen ausformulierten Kompetenzkatalog analog den Art. 73 ff. GG.
Vielmehr wurden in den Verträgen die Ziele und Aufgaben der Gemeinschaft
definiert und einzelne Befugnisnormen zu deren Umsetzung geschaffen. Der EuGH
(und die anderen Gemeinschaftsorgane) haben dies schon früh zum Anlaß
genommen, diese Befugnisnormen mit Blick auf die zu erreichenden
Ziele[41] so
auszulegen, daß die Ziele der Gemeinschaft mit
größtmöglichem Nutzen bzw. mit größtmöglicher
Effektivität ("effet utile") erreicht werden
können.[42]
Dies muß auch vor dem Hintergrund gesehen werden, daß die
Gemeinschaft als völlig neuartiger Versuch einer intensiven rechtlichen und
politischen Zusammenarbeit und Integration zunächst der Stärkung
bedurfte.
2. Art. 235 – eine Generalermächtigung?
Art. 235 EGV illustriert in besonderem
Maße das Problem der Kompetenzabgrenzung zwischen Gemeinschaft und
Mitgliedstaat. Art. 235 EGV ist als Befugnisnorm für den Fall formuliert
worden, daß ein Handeln der Gemeinschaft erforderlich ist, um eines der
Gemeinschaftsziele zu erreichen, ohne daß eine besondere Befugnisnorm in
den Verträgen
existiert.[43] Die
potentielle Weite dieser Norm sollte verfahrensrechtlich kompensiert werden:
Rechtsakte nach dieser Vorschrift können nur einstimmig beschlossen werden.
Mit ihrer Zustimmung zu einem nach Art. 235 EGV zu beschließenden
Rechtsakt erklären alle Vertragsparteien indirekt, daß sie die
Voraussetzungen des Art. 235 EGV für gegeben
betrachten.[44]
Dennoch ist Art. 235 EGV keine "carte blanche" für die im Rat versammelten
Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten. Für Vertragsänderungen
steht in Art. N EUV ein eigenes Verfahren bereit, welches in Abs. 3 auf die
verfassungsrechtlichen Vorschriften der Mitgliedstaaten zur Ratifikation von
Verträgen verweist und damit auf eine direkte Beteiligung der nationalen
Parlamente. Lückenfüllung nach Art. 235 EGV und Vertragsänderung
sind daher zu
unterscheiden.[45]
Einen ersten Ansatz dazu hat der EuGH im Gutachten 2/94 geliefert und den
Beitritt der EG zur EMRK mangels Befugnisnorm für unzulässig
erklärt.[46]
Art. 235 EGV ist keine Generalermächtigungsvorschrift.
3. Funktionelle Kompetenzen
Ein großes
Kompetenzverteilungsproblem im engeren Sinne liegt in der Funktionsbezogenheit
der gemeinschaftsrechtlichen Befugnisnormen, die eine Erweiterung der
Befugnisnormen tendenziell erleichtert. Die zahlenmäßig meisten
Rechtsakte der EG sind binnenmarktbezogen und es ist oft nicht schwer, einen
grenzüberschreitenden Wirtschaftsbezug herzustellen und damit eine
Kompetenz zu
begründen.[47]
4. Testfall Tabakwerbeverbot
Der EuGH wird bald Gelegenheit haben,
sich zu den Problemen der Abgrenzung funktioneller Kompetenzen zu
äußern. Die heftig umstrittene Richtlinie zum Verbot der
Tabakwerbung[48]
konnte aufgrund des klaren Ausschlusses jeglicher Harmonisierung der
Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten in Art. 129 Abs. 4 EGV nicht als
gesundheitsschützende Maßnahme verabschiedet werden. Ob die eher
indirekten Anknüpfungspunkte an binnenmarktspezifische Gesichtspunkte, etwa
Wettbewerbsvorteile für Tabakhersteller und Werbewirtschaft in Ländern
ohne Werbeverbot, ausreichen, um für eine eigentlich die Marktfreiheit
beschränkende Norm auf den Binnenmarkt regelnde Vertragsvorschriften
zurückzugreifen, ist
fraglich.[49]
5. Fazit
Das Tabakwerbeverbot läßt
noch einen anderen Zusammenhang deutlich werden. Die Nutzung der
Lückenfüllungskompetenz des Art. 235 EGV stößt auf die
verfahrensrechtliche Grenze der Einstimmigkeit im Rat. Dies ist bei der Nutzung
der funktionellen Binnenmarktkompetenzen (vgl. vor allem Art. 100a Abs. 1 EGV)
nicht der Fall. In diesem Bereich werden Rechtsakte im Ministerrat mit
qualifizierter Mehrheit (Art. 148 Abs. 2 EGV)
beschlossen.[50]
Der einzelne Mitgliedstaat hat dadurch ein Stück weit die Kontrolle
über die Entwicklung der Kompetenzverteilung verloren. Diese Art der
Entscheidung mit qualifizierter Mehrheit hat erst mit der ersten
Vertragsrevision Mitte der 80er Jahre, der Einheitlichen Europäischen Akte,
richtig Fuß gefaßt und die zeitliche Koinzidenz mit der
verschärften Kompetenzabgrenzungsdebatte ist daher kein Zufall. Diese
Möglichkeit der Mehrheitsentscheidung ist der eigentliche Hintergrund der
scharfen Äußerungen des BVerfG im Maas-tricht-Urteil. In einem System
der Einstimmigkeit hätte das BVerfG die Beachtung der gemeinschaftlichen
Kompetenzgrenzen jedenfalls zunächst von den eigenen beteiligten
Bundesorganen (insb. der Bundesregierung) einfordern können. Nunmehr ist
aber die Entwicklung einer konturierten Kompetenzabgrenzungsrechtsprechung durch
den EuGH selbst unabdingbar.
V. Abschließende Bewertung und Ausblick: Kooperation oder Konflikt?
Das BVerfG versteht sich selbst als
letzte Instanz, wenn es darum geht, ob die Gemeinschaft sich innerhalb der
Grenzen der ihr übertragenen Befugnisse bewegt. Das gilt sowohl
hinsichtlich etwaiger Verletzungen deutscher Grundrechte durch
Gemeinschaftsrecht, als auch hinsichtlich der Inanspruchnahme von Kompetenzen
seitens der Gemeinschaft. Das Bild von den Zustimmungsgesetzen zu den
Gemeinschaftsverträgen und den sie tragenden Art. 23, 24 GG als
Brücke, über die das Gemeinschaftsrecht in die deutsche Rechtsordnung
einfließt und von dem BVerfG als Brückenwächter wird häufig
gebraucht[51] ist
aber zu ungenau. Auch die Letztentscheidungsbefugnis des EuGH (Art. 164 EGV) hat
über diese Brücke die deutsche Rechtsordnung erreicht. In beiden
Fällen kann es daher nur um die Frage gehen, was zu geschehen hat, wenn die
Gemeinschaftsorgane in einer nicht mehr nachvollziehbaren Art von den die
Gemeinschaftsrechtsordnung tragenden Grundprinzipien abweicht. Es kann nur um
den Fall gehen, bei dem auch völkerrechtlich die rechtmäßige
Lösung von diesem – nunmehr wesensverschiedenen – Gebilde
möglich wäre.
In diesem Sinne erschließt sich
auch das Wort vom Kooperationsverhältnis: Es geht nicht um Hierarchie, um
den Fall des Letztentscheidungsrechts in einer konstruierten Extremsituation,
sondern um die gemeinsame Arbeit an einem mit den mitgliedstaatlichen
Verfassungen in Einklang stehenden europäischen
Integrationsprozeß.[52]
Kooperation ist dabei durchaus auch wörtlich zu verstehen und umfaßt
auch das persönliche Kennenlernen der anderen Gerichte und der handelnden
Personen und die Diskussion über aktuelle Rechtsentwicklungen. Bisher hat
diese Art der Kooperation im Ergebnis funktioniert. Sie wird – so ist zu
hoffen - auch in Zukunft funktionieren.
---- F u ß n o t e n ----
[ *]
Abkürzungen (soweit nicht in anderem Zusammenhang aufgelöst): ABl.
– Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften; BVerfG –
Bundesverfassungsgericht; BVerfGE – Entscheidungen des BVerfG; DÖV
– Die öffentliche Verwaltung (Zeitschrift); EuZW –
Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht; JuS – Juristische
Schulung (Zeitschrift); JZ – Juristenzeitung (Zeitschrift); NJW –
Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift); Rs. – Rechtsache; Slg.
– Sammlung der Entscheidungen des EuGH; ZG – Zeitschrift für
Gesetzgebung; ZLR – Zeitschrift für das gesamte
Lebensmittelrecht.
[1]
Abgekürzt EUV. Gemäß Art. A EUV bildet die Europäische
Union (EU) eine Art Dach, welches auf drei Säulen ruht, den
Europäischen Gemeinschaften, der Gemeinsamen Außen- und
Sicherheitspolitik (GASP) und der Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und
Inneres. Die Europäischen Gemeinschaften wiederum setzten sich zusammen aus
der Europäischen Gemeinschaft (EG), der Europäischen Gemeinschaft
für Kohle und Stahl (EGKS) und aus der Europäischen Atomgemeinschaft
(EURATOM) mit jeweils eigenem Gründungsvertrag (EGV, EGKSV, EAGV) Im
folgenden ist der Einfachheit halber jedoch nur noch von der EU (EUV) bzw. der
EG (EGV) oder von "der Gemeinschaft" die Rede.
[2]
BVerfGE 89, 155 (175).
[3]
BVerfGE 89, 155 (188).
[4] EuGH,
Rs. 26/62, Slg. 1963, S. 1, Rn. 10 (van
Gend & Loos).
[5]
BVerfGE 89, 155 (180).
[6] Art.
3 EGV spricht von einem Tätigwerden der Gemeinschaft nur "nach
Maßgabe dieses Vertrages"; Art. 3b EGV lautet: "Die Gemeinschaft wird
innerhalb der Grenzen der ihr in diesem Vertrag zugewiesenen Befugnisse und
gesetzten Ziele tätig".
[7]
Umfassend zum Subsidiaritätsprinzip Calliess, Christian:
Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union
- Vorgaben für die Anwendung von Art. 3b EGV am Beispiel der
gemeinschaftlichen Wettbewerbs- und Umweltpolitik, Baden-Baden,
1996.
[8] Unter
dem Begriff des primären Gemeinschaftsrechts versteht man vor allem die
Normen der Gründungsverträge EGV, EGKS, EURATOM und EUV, verschiedene
Änderungs- bzw. Ergänzungsverträge (z.B. der Fusionsvertrag und
die Einheitliche Europäische Akte), die Beitrittsverträge mit den nach
und nach hinzugekommenen Mitgliedstaaten und die dies alles ergänzenden
ungeschriebenen allgemeinen Rechtsgrundsätze des
Gemeinschaftsrechts.
[9]
Unter dem sekundären Gemeinschaftsrecht versteht man die Rechtsakte, die
auf der Grundlage des primären Gemeinschaftsrechts erlassen wurden. Dies
umfaßt u.a. die Gesetzgebungsakte der EG, also insbesondere Verordnungen
und Richtlinien.
[10]
EuGH, Rs. 6/64, Slg. 1964, 1251, Tz. 12 (Costa/ENEL).
[11]
EuGH, Rs. 11/70, Slg. 1970, 1125 (Int. Handelsgesellschaft).
[12]
Vgl. Art. 31 GG: "Bundesrecht bricht Landesrecht". Danach ist zumindest jede
einer bundesrechtlichen Norm gleich welchen Ranges widersprechende Rechtsnorm
eines Landes nichtig.
[13]
Vgl. EuGH, Rs. 26/62, Slg. 1963, 1 ff., Tz. 9 f. (van Gend &
Loos).
[14]
Vgl. z.B. Ress, Georg: Die Direktwirkung von Richtlinien: Der Wandel von der
prozeßrechtlichen zur materiellrechtlichen Konzeption, in: Leipold, Dieter
u.a. (Hrsg.), Gedächtnisschrift f. Arens, München, 1993, S. 351
ff.
[15]
EuGH, Rs. 8/81, Slg. 1982, 53 ff., Tz. 25 (Becker).
[16]
Bröhmer, Jürgen: Die Weiterentwicklung des europäischen
Staatshaftungsrechts – EuGH, EuGRZ 1996, 144, in: JuS 1997, S. 117
(119). Die unmittelbare Wirkung von Richtlinien beschränkt sich jedoch auf
das Verhältnis Bürger-Staat (sog. vertikale Direktwirkung von
Richtlinien), d.h. nur der umsetzungssäumige Mitgliedstaat ist aus der
Richtlinie verpflichtet. Im Verhältnis der Privaten zueinander kann die
Richtlinie eine solche Wirkung nicht entfalten.
[17] In
diesem Zusammenhang sei an die amerikanische Verfassungsgeschichte erinnert und
an die anfängliche Diskussion über die Frage, ob auf Bundesebene ein
Grundrechtskatalog (Bill of rights) in die Verfassung aufgenommen werden solle.
Die Frage wurde zunächst (1787) u.a. mit den Argumenten verneint, die
Bundesstaaten (EG: "Mitgliedstaaten") verfügten über ausreichende
Grundrechtskataloge, die Bundesregierung verfüge nur über
eingeschränkte Kompetenzen (EG: "begrenzte Einzelermächtigung"). Erst
1791 wendete sich das Blatt durch eine Verfassungsergänzung, der sog. Bill
of rights. Vgl. dazu Bröhmer, Jürgen: Bill of Rights, in: Sommer,
Gerlinde/von Westphalen, Raban (Hrsg.), Staatsbürgerlexikon, München,
1999, S. 88 ff.
[18]
EuGH, Rs. 29/69, Slg. 1969, 419 (Stauder); Rs. 11/70, Slg. 1970, S. 1125 (Int.
Handelsgesellschaft); Rs. 4/73, Slg. 1974, 491 (Nold).
[19]
Vgl. EuGH, Rs. 44/79, Slg. 1979, 3727 (Hauer); EuGH, verb. Rs. 46/87 u. 227/88,
Slg. 1989, 2859; EuGH, Gutachten 2/94, Slg. 1996, I-1759, Rn.
33.
[20]
EuGH, Rs. C-415/93, Slg. 1995, I-4921, Rn. 79 (Bosman).
[21]
Vgl. z.B. EuGH, Rs. C-368/95, Slg. 1997, I-3689 Rn. 25
(Familiapress).
[22]
EuGH, Rs. 130/75, Slg. 1976, 1589 (1598) (Prais).
[23]
EuGH, Rs. 215/87, Slg. 1989, 617 m.w.N. (Schumacher).
[24]
EuGH, Rs. C-404/92, Slg. 1994, I-4737 (X/Kommission).
[25]
Dazu umfassend Rengeling, Hans W: Grundrechtsschutz in der Europäischen
Gemeinschaft - Bestandsaufnahme und Analyse der Rechtsprechung des
Europäischen Gerichtshofes zum Schutz der Grundrechte als allgemeine
Rechtsgrundsätze, München, 1993.
[26] An
der Gesetzgebung der EG maßgeblich beteiligt sind außerdem die
Europäische Kommission, die das Gesetzgebungsinitiativrecht besitzt (vgl.
die verschiedenen Befugnisnormen im EGV, die alle die Klausel "auf Vorschlag der
Kommission" enthalten, z.B. Art. 8a, 8b, 21, 38 usw., s.a. Art. 189a-189c EGV,
vgl. jedoch auch Art. 152, 138b EGV) und natürlich auch das
Europäische Parlament, vgl. insb. Art. 189b EGV.
[27]
Umfassend zum Vorlageverfahren Dauses, Manfred: Das Vorabentscheidungsverfahren
nach Artikel 177 EG-Vertrag, München, 2. Aufl. 1995.
[28]
BVerfGE 22, 293 (296 f.) mit Blick auf § 90 Abs. 1 BVerfGG. 1981,
also 14 Jahre später, hat das BVerfG in seiner Eurocontrol-Entscheidung
diesen Ansatz bestätigt, s. BVerfGE 58, 1 (26 f.).
[29]
BVerfGE 37, 271 (285).
[30]
BVerfGE 73, 339 (387).
[31]
Ausführlich Rüffert, Petra: Das Kooperationsverhältnis von EuGH
und BVerfG, Tübingen, 1997.
[32]
BVerfGE 89, 155 (174, 175): " Das Bundesverfassungsgericht sichert so diesen
Wesensgehalt auch gegenüber der Hoheitsgewalt der Gemeinschaft". Schon im
Solange-II Urteil hatte das Gericht auf den Begriff des Wesensgehalts
rekurriert, vgl. BVerfGE 73, 339 (386).
[33] Im
einzelnen ist der Begriff des Wesensgehalts schwer zu definieren. Unklar ist
z.B., ob für den Betroffenen in jedem Einzelfall ein Restbereich des
Grundrechts übrig bleiben muß. Für das Grundrecht auf Achtung
der Privatsphäre, welches aus Art. 2 Abs. 1 GG hergeleitet wird, hat das
BVerfG dies z.B. bejaht, vgl. z.B. BVerfGE 80, 367 ff. Für den bei
einer Geiselbefreiung zu deren Rettung getöteten Geiselnehmer bliebe jedoch
von seinem Lebensrecht nichts mehr übrig. Zu den verschiedenen
Erklärungsansätzen vgl. z.B. Dreier, Horst, in: Dreier, Horst (Hrsg.),
Grundgesetz-Kommentar, Bd. I, Tübingen, 1996, Art. 19 II
m.w.N.
[34]
Vgl. auch die aufschlußreichen Ausführungen des deutschen Richters am
EuGH Günter Hirsch: Europäischer Gerichtshof und
Bundesverfassungsgericht – Kooperation oder Konfrontation?, in: NJW 1996,
2457 (2459 ff.), der auch skeptischere Stimmen zitiert.
[35]
Die Verordnung 404/93/EWG, ABl. 1993 Nr. L47/1, hat in verschiedenen
Zusammenhängen schon mehrmals sowohl deutsche Gerichte als auch den EuGH
beschäftigt, war Gegenstand von Streitschlichtungsverfahren im Rahmen des
GATT/WTO und hat einen Handelskonflikt zwischen der EG und den USA
heraufbeschworen. Umfassend zu diesem Komplex Cascante, José
Christian/Sander, Gerald G.: Der Streit um die EG-Bananenmarktordnung, Berlin,
1999.
[36]
EuGH, Rs. C-280/93, Urt. v. 5.10.1994, Slg. 1994, I-4973, Rn.
64 ff.
[37]
EuGH, Rs. C-280/93, Urt. v. 5.10.1994, Slg. 1994, I-4973, Rn. 79 ff., 87;
vgl.dazu ausführlich Cascante/Sander (Fn. 35), S. 54 ff.
m.w.N.
[38] VG
Fankfurt, EuZW 1997, S. 182.
[39]
Ein externes gerichtliches Verfahren zur Feststellung, ob ein solches Verhalten
der Bundesrepublik völkerrechtlich gerechtfertigt wäre, existiert
nicht.
[40]
Vgl. z.B. für die USA Falke, Andreas: Die föderale Struktur, in:
(Adams/Czempiel u.a. (Hrsg.), Länderbericht USA, Bd. I (Schriftenreihe der
Bundeszentrale für politische Bildung, Bd. 293/I), Bonn, S. 413
(416 f.).
[41]
Insbesondere mit Blick auf das Ziel der Herstellung eines gemeinsamen
Binnenmarktes. Es muß daran erinnert werden, daß dieses Ziel erst
Ende 1992 erreicht wurde, obwohl die Verträge einen gemeinsamen Markt schon
für Ende 1969 avisiert hatten (Art. 7 Abs. 1 EGV).
[42]
Vgl. z.B. Rs. 41/74, Urt. v. 4.12.1974, Slg. 1974, 1337 (van Duyn). Vgl. dazu
Streinz, Rudolf: Der "Effet Utile" in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der
Europäischen Gemeinschaften, in: Due, Ole u.a. (Hrsg.), Festschrift
für Ulrich Everling 1995, S. 1491 ff.
[43]
Vgl. zu dieser Vorschrift Lorenz, Tanja/ Püls, Wolfgang: Eine
Generalermächtigung im Wandel der Zeit - Art. 235 EG-Vertrag, in: ZG 1998,
S. 142 ff.
[44]
Die Celex-Rechtsprechungsdatenbank weißt per 15.3.1999 insgesamt 388
Rechtsakte aus, die auf Art. 235 EGV gestützt wurden.
[45]
Vgl. Häde, Ulrich/Puttler, Adelheid: Zur Abgrenzung des Art 235 EGV von der
Vertragsänderung - Neue Erkenntnisse durch das Gutachten 2/94 des EuGH vom
28-03-1996?, in: EuZW 1997, S. 13 ff.
[46] Es
darf darüber spekuliert werden, ob die harte Haltung des EuGH mehr der
Kompetenzabgrenzung im Verhältnis Gemeinschaft-Mitgliedstaaten galt oder
mehr der Sicherung der eigenen Kompetenzen vor dem Zugriff des EGMR in
Straßburg, so z.B. Rupp, Hans Heinrich: Ausschaltung des
Bundesverfassungsgerichts durch den Amsterdamer Vertrag, in: JZ 1998,
S. 213 (215). Immerhin war die nächste Regierungskonferenz schon
absehbar und der EuGH hat mit dieser Entscheidung den Mitgliedstaaten
Gelegenheit zu einer entsprechenden Vertragsänderung gegeben, die
allerdings unterblieben ist.
[47]
Vgl. zu diesem Problemkreis Ress, Georg/Bröhmer, Jürgen:
Europäische Gemeinschaft und Medienvielfalt – Die Kompetenzen der
Europäischen Gemeinschaft zur Sicherung des Pluralismus im Medienbereich,
Frankfurt, 1998.
[48]
Richtlinie 98/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli
1998 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten
über Werbung und Sponsoring zugunsten von Tabakerzeugnissen, ABl. Nr. L
213/9 (30.7.1998).
[49]
Vgl. dazu Stein, Torsten: Ohne Rechtsgrundlage - Die Tabakwerbeverbotsrichtlinie
der EG, in: ZLR 1998, 209. Die Tabakwerbeverbotsrichtlinie ist auch
grundrechtlich nicht unproblematisch. Auch hier besteht ein Konfliktpotential,
sollte der EuGH die Richtlinie für vertragsgemäß ansehen. Das
Konfliktpotential besteht übrigens nicht nur im Verhältnis zum BVerfG,
sondern auch im Verhältnis zum Europäischen Gerichtshof für
Menschenrechte (EGMR) in Straßburg, vgl. u.a. die Entscheidung des EGMR v.
18.2.1999, Matthews gegen Großbritannien, noch nicht veröffentlicht
(allerdings im Internet abrufbar unter
>http://www.dhcour.coe.fr/eng/Judgments.htm<.
[50]
Das Europäische Parlament ist im Mitentscheidungsverfahren (Art. 189b EGV)
gesondert und maßgeblich beteiligt.
[51]
Vgl. Kirchhof, Paul: Das Kooperationsverhältnis zwischen
Bundesverfassungsgericht und Europäischem Gerichtshof, in:
Müller-Graff, Peter-Christian (Hrsg.), Perspektiven des Rechts der
Europäischen Union (Heidelberger Forum, Bd. 104), 1998, S. 163
(170 ff.); ders.: Europäische Integration, in: Isensee,
Josef/Kirchhof, Paul (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. VII, § 183,
Rn. 65.
[52] In
diesem Sinne auch Kirchhof, Paul: Die Gewaltbalance zwischen staatlichen und
europäischen Organen, in: JZ 1998, 965 (973 f.).
|