Wilfried Fiedler
"Soundly based in international law"
Die Erklärungen der Westmächte
vom 14. und 16. Febr. 1996 zum "Potsdamer Abkommen" und die Reform der Völkerrechtsordnung
I. Die neue Fragestellung
Das zu Ende gehende Jahrhundert lenkt den Blick mit aller Vorsicht, aber
unabweisbar auf die Würdigung der wichtigsten völkerrechtlichen Weichenstellungen,
die das zu Ende gehende Jahrhundert entscheidend prägten. Unter diesen
Ereignissen nimmt auch die Potsdamer Konferenz der "Großen Drei" eine
besondere Position ein, denn sie gestaltete mit ihren grundlegenden Entscheidungen
den gesamten Verlauf der zweiten Jahrhunderthälfte in ganz unterschiedlicher
Richtung. Ebenso wie der Zweite Weltkrieg mit seinem kaum begreiflichen
Ausmaß an Opfern und Zerstörungen formte die Potsdamer Konferenz die
nachfolgenden Friedensjahre in einer Weise, die die politische Stabilität
des Staatensystems ebenso betraf wie die Existenzgrundlage von Menschen
und Völkern in Ost und West.Die Potsdamer Beschlüsse blieben jahrzehntelang
im Streit, nicht nur in einer spezifischen Prägung des "kalten Krieges",
sondern wegen einer Vielzahl formaler und inhaltlicher Mängel, die von
den verschiedenen Seiten oft gegensätzlich interpretiert wurden. Hierauf
ist im folgenden nicht mehr einzugehen, da die wesentlichen Diskussionslinien
inzwischen als bekannt vorausgesetzt werden können.[1]
Hinzugekommen sind einzelne Bereiche, die auch weltweite Auswirkungen der
Beschlüsse betreffen, die bislang weniger beachtet wurden.[2]
Dieser Umstand wäre an sich kein Anlaß, das Thema aus seinem - verdienten
- historischen Schlummer zu reißen. Anstöße zur Wiederaufnahme der Thematik
erfolgten in den letzten Jahren jedoch aus ganz unerwarteter Richtung.
Denn der Versuch einer völkerrechtlichen Bilanz des 20. Jahrhunderts im
Zeichen aktueller Fortschreibungen - etwa durch die International Law Commission
(ILC) der Vereinten Nationen - warf zusammen mit neuen offiziellen Erklärungen
der im Jahre 1945 maßgeblich beteiligten Staaten[3]
grundsätzliche Fragen der künftigen Entwicklung des Völkerrechts neu
auf.Im Zusammenhang mit der Untersuchung der Auswirkungen des Potsdamer
Abkommens auf die Entwicklungen des allgemeinen Völkerrechts konnte es
1994 noch begrüßt werden, "daß das Potsdamer Abkommen heute im wesentlichen
von historischer, nicht mehr von aktueller juristischer Bedeutung ist".[4]
Diese Aussage erwies sich als allzu optimistisch im Blick auf amtliche
Erklärungen der Vereinigten Staaten, Großbritanniens und Frankreichs
vom Februar 1996. Zugleich wandte sich die scheinbar abgeschlossene Diskussion
einem Fragenkreis zu, den auch Jens Hacker[5]
in einer Schrift des Jahres 1996 angeschnitten hatte, als er eine frühere
Arbeit von Wilhelm G. Grewe
heranzog, um die seit dem Ende des Ersten
Weltkriegs verlorene Kunst des Friedensschlusses in Erinnerung zu rufen.[6]
Fast zur gleichen Zeit unterwarf Christian Tomuschat
das Potsdamer
Abkommen einer eingehenden kritischen Prüfung unter dem Gesichtspunkt
der Friedensgestaltung nach kriegerischen Konflikten.[7]
Das Ergebnis war insgesamt bis auf zwei Ausnahmen ernüchternd: "To sum
up, Potsdam can hardly be considered a model for how peace should be concluded".[8]
Dieses Ergebnis wog um so schwerer, als es nach einer Musterung der Kriterien
zustande kam, die die Völkerrechtsgemeinschaft an anderer Stelle, etwa
im Rahmen der Politik der Vereinten Nationen oder der Normierungen der
International Law Commission (ILC)[9]
voraussetzt. Die Maßstäbe für eine zukunftsgerichtete Friedensgestaltung,
die auf diese Weise entwickelt und angelegt wurden, werfen ein eigenartiges,
zugleich aber deutliches Licht auf die Beschlüsse von Potsdam. Hinzu treten
aus einer anderen, wiederum unvermuteten Richtung aktuelle Bewertungen
durch den Internationalen Gerichtshof (IGH) in seinem Gutachten zur Rechtmäßigkeit
der Drohung mit oder dem Gebrauch von Atomwaffen vom 8. Juli 1996.[10]
Hier ging es zwar nicht unmittelbar um das Potsdamer Abkommen, sondern
um die Bewertung von rechtlichen Instrumenten, die in der unmittelbaren
Nachkriegszeit herangezogen wurden und sie insofern mitgestalteten, wie
etwa die Haager Landkriegsordnung (HLKO). Indem der IGH die gewohnheitsrechtliche
Geltung der Haager Regeln bestätigte und zugleich den Zusammenhang mit
der Rechtsprechung des Nürnberger Internationalen Militärgerichtshofes
herstellte,[11]
lenkte er den Blick auf eher gegenläufige Entwicklungslinien des Völkerrechts
in der Mitte des 20. Jahrhunderts. Die wiederholte Berufung der Alliierten
auf die HLKO fand ihre Entsprechung in Nürnberg, mußte aber zugleich
die Frage nach dem Verhältnis der Potsdamer Beschlüsse zu demselben,
1996 vom IGH mit herangezogenen Bewertungsmaßstab provozieren.Die Mißachtung
der Regeln der HLKO stand im Vordergrund der eindeutigen, massiven und
folgerichtigen juristischen Abrechnung mit nationalsozialistischen Kriegsverbrechern
in den Nürnberger Prozessen, und auch die zeitgenössischen Diskussion
widmete diesem Fragenkreis intensive Aufmerksamkeit. Zurück blieb, gefördert
durch den immer stärker und dominierender werdenden Ost-West-Gegensatz,
eine große Unsicherheit in bezug auf den Stand der Entwicklung des Völkerrechts
unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Es mußte unausweichlich
erscheinen, auch das "Potsdamer Abkommen" selbst an den Kriterien zu messen,
die das - damals - geltende Völkerrecht zwingend zur Verfügung stellte.Dabei
konnte nicht übersehen werden, daß eine solchermaßen ausgerichtete Kritik
von vorneherein eine schwache Grundlage aufweisen mußte, sofern sie aus
Deutschland kam. Denn nach den Verantwortungen, die auf dem deutschen Staat
durch die nationalsozialistische Staatsführung unabweisbar lagen, konnte
eine Kritik nicht mit Sympathie rechnen: Das Potsdamer Abkommen war für
den sowjetisch beherrschten Teil der Welt ohnehin zur unangreifbaren Magna
Charta politischen Handelns geworden,[12]
aber auch im Westen wurde die völkerrechtliche Wirksamkeit der Potsdamer
Beschlüsse trotz der Sonderposition Frankreichs kaum ernsthaft in Frage
gestellt.[13]
In Deutschland vertrat die Bundesregierung zwar eine konsequente Linie,[14]
doch fiel es in der Diskussion nicht schwer, eine Kritik am Potsdamer Abkommen
eher politischen Finsterlingen zuzuordnen, sie im Zeichen übergeordneter
Bündnisorientierung in das juristische Abseits zu weisen oder auf andere
Weise auszuschalten. Inzwischen ist deutlich geworden, daß die Auseinandersetzung
mit den Potsdamer Beschlüssen von ganz anderer Seite her gefordert ist:
durch die am Ende dieses Jahrhunderts überfällige Reform des Systems
der Vereinten Nationen und die damit zusammenhängende notwendig kritische
Reflexion einer Fortentwicklung der Völkerrechtsordnung selbst. Vor allem
aus diesem Grunde führen die neuen amtlichen Äußerungen Großbritanniens
und der Vereinigten Staaten zum Potsdamer Abkommen zu erheblichen Irritationen
und Schwierigkeiten.
II. Die Erklärungen der Vereinigten Staaten und Großbritanniens vom 14.2.1996
Das U.S. State Department formulierte eine knappe grundsätzliche Stellungnahme
zur Bedeutung des Potsdamer Abkommens gerade im Zeitpunkt intensiver deutsch-tschechischer
Verhandlungen über eine gemeinsame Erklärung, bei der es u. a. um die
Beilegung von erheblichen Kontroversen über die Bewertung der Vertreibung
der Deutschen aus der Tschechoslowakei nach dem Zweiten Weltkrieg ging.[15]
Daraus erklärt sich zugleich der Umstand, daß die Erklärung Großbritanniens
vom gleichen Tage durch die britische Botschaft in Prag veröffentlicht
wurde,[16]
während Frankreich sich zwar ebenfalls durch seinen Botschafter in Prag
äußerte, jedoch in inhaltlich anderer Weise und zeitlich versetzt.[17]
Die Erklärung des U.S. State Departments lautete:"February 14, 1996 -
The decisions made at Potsdam by the governments of the United States,
United Kingdom, and the then-Soviet Union in July/August of 1945 were soundly
based in international law. The Conference conclusions have been endorsed
many times since in various multilateral and bilateral contexts.The Conference
recognized that the transfer of the ethnic German population of Czechoslovakia
had to be undertaken. Article XIII of the Conference Report called for
this relocation to be 'orderly and humane'.The conclusions of the Potsdam
Conference are historical fact, and the United States is confident that
no country wishes to call them in question.It would be inappropriate for
the United States to comment on any current bilateral discussions under
way between the Czech Republic and Germany."Die Erklärung wirft bereits
in ihrem äußeren Duktus verschiedene Rechtsfragen auf. So spricht sie,
anders als die britische Erklärung, nicht vom Potsdamer Abkommen ("Potsdam
agreement"), sondern von den in Potsdam getroffenen Entscheidungen. Damit
sind von vorneherein die Zweifel an der Art des Zustandekommens beiseite
gerückt und durch die Substanz der Aussagen der Potsdamer Beschlüsse
ersetzt: Es handelte sich um völkerrechtlich wirksame Entscheidungen ohne
Rücksicht auf mögliche, in den folgenden Jahrzehnten mehr oder weniger
mühsam nachgewiesene formale Mängel eines Vertragsschlusses.[18]
Unterstützt wird dieser Befund durch eine Formulierung des 3. Absatzes:
Die Ergebnisse der Potsdamer Konferenz seien historische Tatsachen ("historical
fact"). Auf diese Weise wird zwar der Vertragscharakter nicht völlig beiseitegeschoben,
aber durch die "historische Tatsache" so in den Hintergrund gedrängt,
daß das zur Genüge und in den Einzelheiten nachgewiesene politische Konsensgefüge
der Potsdamer Konferenz[19]
leicht aus dem Blick gerät: Historische Tatsachen unterliegen kaum juristischen
Zweifeln oder Anfechtungen, mögen sich diese gleichwohl unerbittlich aufdrängen.
Unmittelbar angefügt ist in diesem Sinne eine Formulierung, die an Deutlichkeit
nichts zu wünschen übrig läßt:"..., and the United States is confident
that no country wishes to call them (erg.: die Konferenzergebnisse) in
question".Damit korrespondiert die Feststellung des vierten Absatzes, die
Vereinigten Staaten hielten es für unangemessen ("inappropriate"), zu
laufenden Verhandlungen zwischen der Tschechischen Republik und Deutschland
Stellung zu nehmen.Auch diese Bemerkung kann unterschiedlich interpretiert
werden, betrifft aber mehr das politische Procedere. Juristisch auffälliger
erscheint demgegenüber, daß die Vereinigten Staaten im Zusammenhang mit
den Potsdamer Entscheidungen ausdrücklich die daran beteiligten Staaten
erwähnen (USA, Großbritannien und die ehemalige Sowjetunion), während
die britische Erklärung die rechtlichen Konsequenzen aus der Sicht des
eigenen Staates formuliert: "as far as the United Kingdom is concerned".
Die wesentliche inhaltliche Aussage beider Erklärungen ist hingegen identisch
in zwei Richtungen.Zunächst in der ungewöhnlichen Aussage über die Völkerrechtsmäßigkeit
der Konferenzergebnisse: sie seien "soundly based in international law".
Dieser Passus taucht gleichermaßen in der britischen Erklärung auf, doch
wird er in der Erklärung der USA ergänzt durch den Hinweis, die Konferenzergebnisse,
"have been endorsed many times since in various multilateral and bilateral
contexts". Beide Formulierungen lassen nach dem Grund der einerseits emphatischen,
andererseits bekräftigenden Wortwahl fragen. Der Hinweis auf die im Völkerrecht
"fest verankerten" bzw. "fest gegründeten" Konferenzergebnisse betont
die Völkerrechtsmäßigkeit so eindringlich, daß vermutet werden kann,
man habe sich vielleicht ausdrücklich gegen nicht näher bezeichnete erhebliche
Zweifel wehren wollen, wie sie offiziell nicht nur von deutscher Seite
geäußert worden waren. Der Hinweis auf die spätere Staatenpraxis versucht,
eine entsprechende Kritik zusätzlich abzuwehren. Möglich ist auch, die
Ergänzungsformulierung als Begründung des vorangestellten Passus ("soundly
based") zu verstehen. Wie immer eine exakte Interpretation des Wortlautes
aussehen mag, in jedem Falle kann der Eindruck einer an sich überflüssigen
Verteidigung entstehen. Sie kommt in der britischen Erklärung freilich
ohne den Hinweis auf die Staatenpraxis aus.Die zweite inhaltlich bedeutsame
Aussage bezieht sich auf den in der Literatur hinreichend erörterten Art.
XIII des Potsdamer Abkommens,[20]
der in bezug auf die Tschechoslowakei wiederholt und bekräftigt wird,
wenn auch mit leichten sprachlichen Veränderungen. War im ursprünglichen
Text noch vom "transfer" der "German populations or elements thereof" die
Rede,[21]
so ist nunmehr allgemeiner "the ethnic German population of Czechoslovakia"
genannt, doch ändert dies zunächst nichts an der Aussage selbst, die
im Jahre 1945, wie nunmehr auch im Jahre 1996, die entsprechende Bevölkerungsverschiebung
billigt ("had to be undertaken"). Dennoch liegt es nahe, die Erklärungen
von 1996 lediglich auf die Dokumente von 1945 zu beziehen und insofern
von einer bloßen Bestätigung einer historischen Position auszugehen.
Aber auch bei vorsichtiger Beurteilung kann es nicht verborgen bleiben,
daß die Bekräftigung eines Konferenzergebnisses nach über fünfzig Jahren
mehr bedeutet als eine nur zeitgenössische Interpretation der Nachkriegsjahre.
Es wird von den an den Potsdamer Beschlüssen beteiligten Staaten nicht
verlangt werden können, daß sie ihr eigenes Handeln auch nach einem halben
Jahrhundert rechtlich, politisch oder moralisch kritisieren. Es fällt
aber auf, daß die Erklärungen vom Februar 1996 ohne sichtbare Einwirkung
der geradezu umwälzenden Entwicklung etwa des Menschenrechtsschutzes während
der letzten Jahrzehnte geblieben sind. Die historische rechtliche Position
wäre von einer zeitgerechteren völkerrechtlichen Beurteilung der Massendeportationen
des Jahres 1945 aus der Sicht der Alliierten nicht notwendig angegriffen
worden.Statt dessen fügen beide Erklärungen verkürzt den Passus des
Art. XIII hinzu, der die Vertreibung in einer ordnungsgemäßen und humanen
Weise ("orderly and humane") vorsieht. Auch hier wird man nach dem Sinn
des Nachsatzes fragen müssen. Daß auf ihn besonderes Gewicht gelegt wurde,
kann mit der Entstehung des Artikels begründet werden. Kein anderer Autor
als Otto Kimminich
hat in vergleichbarer Weise die Bemühungen der
USA und Großbritanniens um eine Humanisierung der Vertreibungen herausgearbeitet
und den Nachweis erbracht, daß von den Potsdamer Beschlüssen keineswegs
ein Vertreibungsbefehl ausging.[22]
Kein anderer Autor hat in dieser zugleich äußerst zurückhaltenden Weise
aber auch so deutlich gemacht, daß der Wortlaut des Art. XIII gleichwohl
eine Kapitulation vor vollendeten Tatsachen bedeuten mußte und der Hinweis
auf eine "ordnungsgemäße und humane" Durchführung der Vertreibung weitgehend
ins Leere stieß.[23]Wenn
nunmehr die - nach wie vor bezweifelte - politisch-rechtliche Absegnung
der "wilden" Vertreibungen zusammen mit den "offiziellen" Umsiedlungen
trotz ihrer nachgewiesenen Disparität wiederholt werden, so kann über
diese Wortwahl aus der Perspektive des humanitären Völkerrechts auch
nicht durch den Hinweis auf Abs. 3 der Erklärung hinweggetröstet werden:
die Konferenzergebnisse seien "historical fact". Der Versuch, das Potsdamer
Abkommen auf diese Weise außer Streit zu stellen, würde die Beurteilung
der künftigen Entwicklungslinien des Völkerrechts zwar erheblich erleichtern,
zugleich aber die Strukturen des gegenwärtig geltenden Völkerrechts in
zentralen Punkten verfälschen (dazu unter IV). Damit wäre wenig gewonnen,
von den offenkundigen Problemen wissenschaftlicher Verantwortung ganz abgesehen.
Ihr entspricht es, auf die mißglückte Formulierung des dritten Absatzes
der Erklärung der USA hinzuweisen und den zweiten Satz so zu interpretieren,
wie dies in der Literatur nicht selten bereits geschehen ist: als Beleg
für die Ohnmacht der Westmächte im Jahre 1945 und den meist nur papierenen
Schutz von Millionen von Zivilisten: "orderly and humane" als Ausdruck
von verständlicher Selbstberuhigung angesichts gegenläufiger Fakten.[24]Die
Erklärung der USA fügt in die bekannte Wortwahl des Jahres 1945 eine
sprachliche Variante ein, die in der britischen Fassung nicht zu finden
ist. Denn sie umschreibt den "transfer" mit der gleichgeordneten Bezeichnung
"relocation". Aber auch auf diese Weise wird dem "Transfer" nur wenig von
der Kälte technokratischer Abläufe genommen. Seit jeher stieß die Bezeichnung
als "Transfer" auf die Kritik derjenigen, die in Vertreibungen eher die
Deportation von Menschen sahen, auf die die Einstufung als mehr technischer
Vorgang von vorneherein nicht zutreffen konnte. Wenn nunmehr mit dem Begriff
der "relocation" stärker die "Umsiedlung" thematisiert wird, so erscheinen
dadurch immerhin die betroffenen Menschen wieder im Zentrum der Diskussion.Aber
auch die geänderte Wortwahl kann zu neuen Fragen führen. Denn mit der
"relocation" könnte sich nicht nur die eher neutrale "Umsiedlung" verbinden,
sondern auch die "Rücksiedlung" mit ihrer unverkennbaren Verwandtschaft
zur "Repatriierung". Ein derartiges (Neben-)Verständnis würde die Umkehr
einer 700 bis 800 Jahre zurückliegenden Besiedlung bedeuten und ein eher
monströses Rechtsverständnis andeuten. Dieses würde sich zudem auf einen
Staat beziehen, der - wie die Tschechoslowakei - erst im Jahre 1919 gegründet
wurde, aus der Sicht des Jahres 1945 vor nur 26 Jahren. Angesichts dieser
Faktenlage scheint eine entsprechend hintersinnige Interpretation der "relocation"
eher fernliegend und absurd zu sein.Zweifel erwecken andere Abweichungen
des Wortlautes der amerikanischen und der britischen Erklärung. Während
sich die britische Erklärung mit der Erwähnung des "transfer of the German
population of Czechoslovakia" an den offiziellen Wortlaut von 1945 hält,
spricht das U.S. State Department von "transfer of the ethnic German population".
Dadurch müssen unversehens die rechtlichen Unterschiede zwischen einer
ethnischen oder anderweitig gekennzeichneten deutschen Bevölkerung in
den Sinn kommen. Spielt etwa die Staatsangehörigkeit eine besondere Rolle,[25]
oder handelt es sich nur um einen unbedachten Umgang mit der Sprache? Von
einem amtlichen Dokument wird man dies nicht vermuten können, so daß
von einem bewußt formulierten Text auszugehen ist. Welches aber sind die
rechtlichen Folgen der erwähnten Differenzierung?
III. Die Erklärung des französischen Botschafters und die Position der
Bundesrepublik Deutschland
Die Erklärung des französischen Botschafters vom 16. Febr. 1996 weicht
in entscheidenden Aussagen von den beiden zuvor besprochenen ab. Fortgeführt
wird die bekannte kritische Linie Frankreichs, die nicht zuletzt darauf
beruhte, daß Frankreich anders als die USA, Großbritannien und die ehemalige
Sowjetunion zwar an der Berliner Erklärung vom 5.6.1945 beteiligt wurde,
nicht aber an der Potsdamer Konferenz selbst und Frankreich eine Unterzeichnung
des Protokolls daher ablehnte. Die Erklärung vom 16.2.1996 weist auf diesen
Unterschied ausdrücklich hin. Frankreich hält es danach nicht für angezeigt,
auf das Potsdamer Abkommen zurückzukommen. Diese Position ähnelt der
von der Bundesregierung seit langem vertretenen Linie. Der zweite Punkt
der Begründung im französischen Text zeigt jedoch Gemeinsamkeiten mit
der amerikanischen Erklärung: es handele sich um ein abgeschlossenes historisches
Kapitel. Im Unterschied zu diesen Erklärungen folgt jedoch keine Kommentierung
genereller oder spezifischer Fragen des Inhalts des Potsdamer Abkommens,
sondern eine unmittelbare Hinwendung zu den Zukunftsaspekten und zu dem
- offen unterstützten - Beitritt der Tschechischen Republik zur Europäischen
Union. Die Grundlage für diese zukunftsbezogene Position wird schon zu
Beginn gelegt durch das Kriterium, "einen Schlußstrich unter die Vergangenheit
zu ziehen". Auf diese Weise gelingt es, einerseits die seit Jahrzehnten
gezeigte offizielle Position Frankreichs beizubehalten, andererseits den
Blick politisch von den wenig angenehmen Seiten des Potsdamer Abkommens
auf künftige Entwicklungsmöglichkeiten zu lenken.In diesem Punkte trifft
sich die französische mit der deutschen Position, wenn auch auf unterschiedlicher
politischer und rechtlicher Grundlage. Jens Hacker
hat sich mit
dieser Position mehrfach intensiv beschäftigt.[26]
Sie kehrt wieder in der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage[27]
im Bundestag vom 23.4.1996,[28]
insbesondere in der Aussage, daß "die Bundesregierung keine Veranlassung
sieht, Aussagen von Vertretern der drei Teilnehmerstaaten der Potsdamer
Konferenz über die damaligen Beschlüsse zu kommentieren".[29]
In dieser Formulierung zeigt sich die Verbindungslinie zu der von der Bundesregierung
stets betonten Auffassung, es handele sich bei dem Potsdamer Abkommen um
eine "res inter alios acta". Mit dieser schon traditionellen Begründung
schuf sich die Bundesregierung zugleich auch den Freiraum, um einzelne
Bereiche der Potsdamer Beschlüsse abweichend zu beurteilen. So wird in
der "Vorbemerkung" ausdrücklich und mit wörtlichem Zitat auf eine Passage
aus einem Zeitungsinterview von Bundesaußenminister Kinkel vom
20.2.1996 Bezug genommen, in dem darauf hingewiesen wird, daß "in Übereinstimmung
mit der deutschen Völkerrechtswissenschaft ... alle früheren Bundesregierungen
und auch die jetzige Regierung die Vertreibung der Deutschen nach Kriegsende
immer als rechtswidrig verurteilt und die Beschlüsse der Potsdamer Konferenz
vom 2. August 1945 nicht als Rechtfertigung der Vertreibung angesehen"
haben.[30]
Dem möglichen Vorwurf, hiermit werde gleichwohl das Potsdamer Abkommen
"kommentiert", baut die Antwort dadurch vor, es gehe bei den Gesprächen
mit der Tschechischen Republik um die Gestaltung der Zukunft, nicht um
eine Bewertung der Gültigkeit der Potdamer Beschlüsse, sondern um Versöhnung
und Bewältigung der Vergangenheit, "insbesondere auch angemessene Worte
zum schweren Schicksal der vertriebenen Sudetendeutschen" zu finden.[31]
Nur in diesem Zusammenhang seien die Potsdamer Beschlüsse erwähnt worden.Die
Bundesregierung hat damit in geschickter Weise eigene Auffassungen zum
Potsdamer Abkommen betont, gleichzeitig aber eine Bewertung der Gültigkeit
der Potsdamer Beschlüsse ausdrücklich ausgeschlossen. Darin kann zugleich
eine Reaktion auf die Erklärung des U.S. State Departments vom 14.2.1996
gesehen werden, insbesondere auf Abs. 3, wonach, wie bereits erwähnt,
"The United States is confident that no country wishes to call them in
question." Einer entsprechenden amtlichen Bemerkung hätte es in bezug
auf die Bundesregierung freilich gar nicht bedurft, denn diese hat schon
früh auf Gebietsforderungen gegenüber der Tschechoslowakei verzichtet.
Daß sie gleichwohl die Vertreibungen nicht für rechtmäßig hielt und
hält, ändert an der längst erreichten territorialen Befriedung des Verhältnisses
zwischen Deutschland und der Tschechischen Republik nichts. Eine sorgsame
Beurteilung des erwähnten Art. XIII gelangt ohnehin zu dem bereits behandelten
Ergebnis, die entsprechende Bestimmung enthalte keinen "Vertreibungsbefehl".
Daß im übrigen eine rechtlich-politische Grauzone im Blick auf Folgewirkungen
bestehen blieb, ist an anderer Stelle hinreichend deutlich formuliert worden.[32]
IV. "Historische Tatsache" und "Schlußstrich"
Zwischen der französischen Stellungnahme vom 16.2.1996 und der Antwort
der Bundesregierung vom 23.4.1996 bestehen weitere und auffallende Gemeinsamkeiten,
die ebenfalls als Reaktion auf die - nicht eigens erwähnte - Erklärung
des U.S. State Departments gewertet werden können. Denn die Bundesregierung
beginnt ihre Antwort mit einer ausdrücklichen Zustimmung zur Prager Erklärung
Frankreichs, es handele sich bei den Potsdamer Beschlüssen um ein "abgeschlossenes
historisches Kapitel". Das französische wie das deutsche Dokument knüpfen
dabei an die Feststellung des U.S. State Departments in bezug auf die Potsdamer
Konferenz als "historical fact" an. Diese auffällige Gemeinsamkeit dreier
amtlicher Stellungnahmen muß über die bereits aufgeworfenen Fragen hinaus
auch nach den juristischen Konsequenzen fragen, selbst im Blick auf den
in der französischen Erklärung erwähnten "Schlußstrich unter die Vergangenheit".Die
Erwähnung eines "abgeschlossenen historischen Kapitels" könnte in diesem
Zusammenhang möglicherweise als Thematisierung der Frage von Gültigkeit
und Geltung der Potsdamer Beschlüsse verstanden werden, wenn auch in ungewöhnlicher
Form. Fragen politischer oder historischer Art werden nicht selten auf
diese Weise beantwortet. Für eine völkerrechtliche Beurteilung genügt
der Hinweis auf den historischen Abschluß jedoch keinesfalls, denn in
dem Maße, in dem das Völkerrecht auf die ständige Orientierung an der
Staatenpraxis angewiesen ist, wächst die Notwendigkeit, historische Ereignisse
ganz selbstverständlich in die aktuelle juristische Bewertung einzubeziehen.
Insofern stellt die historische Unabänderlichkeit kein Verbot der Neubeurteilung
oder einer anderweitigen Berücksichtigung dar. Die juristisch gebotene
historische Betrachtung hat grundsätzlich nichts mit der Infragestellung
historischer Entscheidungen zu tun, wenn nicht besondere Umstände hinzutreten.
Zu diesen Umständen zählt etwa, ob die historische Betrachtung von "offizieller"
staatlicher Seite oder durch die Wissenschaft selbst erfolgt. Die Völkerrechtswissenschaft
hat es stets mit "historical facts" zu tun und zusätzlich mit dem Problem
ihrer Bewertung. Daß das Potsdamer Abkommen ausdrücklich als "historical
fact" bezeichnet wird, ändert nichts daran, daß vor und nach diesem Zeitpunkt
stets und fortlaufend neue historische Tatsachen zur Bewertung anstanden
bzw. neu anstehen. Wissenschaftlich gesehen kann es ein Zufall sein, welches
Datum desselben Jahres eine gesteigerte Beachtung findet, und viel spricht
dafür, etwa die Gründung der Vereinten Nationen für historisch bedeutsamer
anzusehen als die Potsdamer Beschlüsse. Selbst im gleichen Fragenkreis,
in bezug auf die Sicherung der Grenzen der Tschechoslowakei, kann zweifelhaft
sein, wo in einer turbulenten historischen Entwicklung ein historischer
Schlußstrich zu ziehen ist. Im Blick auf das Verhalten Frankreichs und
Großbritanniens als Signatar-Mächten des "Münchener Abkommens" vom 29.
Sept. 1938[33]
mag es für diese politisch verständlich erscheinen, einen Schlußstrich
auch wissenschaftlich zu ziehen, doch könnte dies für eine völkerrechtliche
Fragestellung nicht ausschlaggebend sein. Die juristische Beurteilung der
Stellungnahmen beider Staaten im Jahre 1996 kann vielmehr aus der besonderen
historischen Konstellation Antworten auch auf die Frage finden, warum Großbritannien
und Frankreich die Stabilität der Tschechoslowakei bzw. der Tschechischen
Republik seit 1945 und heute rechtlich wie politisch besonders unterstützen.
Auch bei einer entsprechend vorsichtigen Würdigung der Texte von 1996
ist nicht davon auszugehen, daß die Betonung als historisch abgeschlossene
Periode mehr sein kann als eine politische Bekräftigung, jedoch ohne juristischen
Aussagewert.
V. Die künftige Entwicklung des Völkerrechts
1. Sektoral unterschiedliche Bewertungen
Der juristische Kern der Aussagen von 1996 ist, soweit die Vereinigten
Staaten und Großbritannien betroffen sind, in der Feststellung zu suchen,
die Potsdamer Beschlüsse seien "fest im Völkerrecht verankert" einschließlich
aller unmittelbar ergänzenden Aussagen. Daß an der Völkerrechtsmäßigkeit
des Potsdamer Abkommens nicht unerhebliche Zweifel bestehen, ist in der
Literatur hinlänglich diskutiert worden, insbesondere in bezug auf die
Art und Weise des Vertragsschlusses.[34]
Hinzu kommt, daß das Potsdamer Abkommen nur schwer eine Gesamtbeurteilung
zuläßt, denn es stellt, wie Chr. Tomuschat
ausdrücklich betont,
ein "Konglomerat unterschiedlicher Elemente" dar,[35]
deren Bewertung zu sektoral unterschiedlichen Ergebnissen führen kann.[36]
Läßt man die bekannten Zweifel am völkerrechtlich wirksamen Zustandekommen
als Vertrag beiseite, so bleiben durchaus unterschiedlich einzuschätzende
Partien des Textes übrig, die zu divergierenden Bewertungen führen können.
Dieser Uneinheitlichkeit werden die Stellungnahmen der Vereinigten Staaten
und Großbritanniens von 1996 nicht gerecht. Die Potsdamer Konferenzergebnisse
werden vielmehr blockhaft und undifferenziert als "soundly based in international
law" bezeichnet.Beschränkt man sich lediglich auf die durch die Erklärungen
herausgehobenen Probleme des Art. XIII und die damit verbundenen territorialen
Veränderungen, so gilt die neuere Bekräftigung ausgerechnet einem Bereich,
der in bezug auf den heute gewonnenen völkerrechtlichen Schutzstandard
die größten Zweifel erweckt. Chr. Tomuschat
bezeichnet die Vertreibungen
als "one of the largest actions of forced resettlement - according to present-day
terminology ethnic cleansing".[37]
Damit ist eine Verbindungslinie zu den "ethnischen Säuberungen" der Gegenwart
gezogen, die ohnehin seit langem offensichtlich ist, auch wenn sie selbst
von kundigen Völkerrechtlern nicht immer ausdrücklich gezogen wird.[38]
Vergleicht man zusätzlich die Zahl der im früheren Jugoslawien betroffenen
Menschen mit den für 1945 zur Verfügung stehenden Daten, so wird die
ungeheuere Dimension der Deportationen unmittelbar nach 1945 bewußt. Es
handelte sich um nichts anderes als eine kollektive Bestrafung der in Ostdeutschland
und Osteuropa seit Jahrhunderten lebenden Deutschen.[39]
Hätten entsprechende Aktionen in der Gegenwart stattgefunden, so wäre
die Beurteilung eindeutig in die Kategorien einzuordnen, die die ILC mit
dem Begriff des "international crime" bezeichnet und die in dem auch von
Tomuschat
genannten Art. 18 des "Draft Code of Crimes against the Peace and the Security
of Mankind" mit aufgelistet sind: "(g) arbitrary deportation or forcible
transfer of population".[40]In
diesem Punkte zeigt sich zugleich, daß der besänftigende Hinweis auf
die "ordnungsgemäße und humane" Form der Umsiedlung den Kern der rechtlichen
Problematik nicht trifft. Denn nicht die Art und Weise der Aktion erfüllt
die heute eindeutig als völkerrechtswidrig einzustufende Vorgehensweise,
sondern die Zwangsumsiedlung selbst, unabhängig von gelegentlich so genannten
"Exzessen". Diese mögen die Deportationen begleiten oder nicht: die Vertreibungen
selbst sind gemeint, wenn heute von Völkerrechtsverbrechen in den Kodifizierungsentwürfen
der ILC die Rede ist.
2. Das Völkerrecht im Jahre 1945 und aus heutiger Sicht: notwendige Divergenzen
Dennoch wäre es unangebracht, heutige Beurteilungen ohne weiteres auf
das Jahr 1945 zu projizieren. Denn die Umstände, in denen die Potsdamer
Konferenz abzulaufen hatte, weisen historische Besonderheiten erheblichen
Ausmaßes auf.[41]
Sie verbieten eine pauschale und undifferenzierte Anwendung rechtlicher
Maßstäbe der Gegenwart. Der Hinweis auf das "international law" nimmt
zunächst notwendig Bezug auf die Situation nach Kriegsende, und es wäre
nach dem Stand des Völkerrechts zu diesem Zeitpunkt zu fragen. Dabei ist
der damals konkret zu beachtende Rechtsstandard zu ermitteln, und es steht
außer Frage, daß die heutige Einschätzung etwa der Menschenrechte für
diese historische Periode nicht vorauszusetzen ist. Fest steht hingegen,
daß die Praxis der Vertreibung durch die damalige Völkerrechtsordnung
nicht abgedeckt war, und eine zeitgerechte Interpretation der HLKO und
anderer Dokumente die Völkerrechtswidrigkeit der entsprechenden Zwangsmaßnahmen
ergeben müßte.[42]
Auf diesen Befund nahm auch Bundesaußenminister Kinkel in dem vor dem
Bundestag zitierten Passus Bezug.[43]
Die HLKO geht selbst nicht ausdrücklich auf ein Vertreibungsverbot ein,
sondern setzte die Praxis des 19. Jahrhunderts voraus, nach der Massenvertreibungen,
wie sie seit 1945 stattfanden, von vorneherein außerhalb jeder juristischen
Vorstellung blieben.
a) 1945 - eine historische Ausnahmesituation?
Denkbar erscheint, die unmittelbare Nachkriegszeit im Sinne einer historischen
Einmaligkeit zu betrachten und aus diesem Grunde besondere Maßstäbe anzulegen.
Das Kriterium historischer Einmaligkeit enthält jedoch seinerseits erhebliche
Risiken, nicht zuletzt im Blick auf die Staatenpraxis und die von ihr dominant
ausgehende Wirkung auf die völkerrechtliche Normbildung. "Ausnahmesituationen"
bieten seit jeher ein Feld für dogmatisch-juristisch schwer nachzuvollziehende,
beliebig wiederholbare politische Willkürentscheidungen und entlasten
die juristische Problembewältigung nur unerheblich. Der Annahme einer
juristischen Ausnahmesituation stehen zudem die nicht geringen Folgewirkungen
entgegen, die die unvermeidliche Geschichtsbezogenheit der Völkerrechtsordnung
dokumentieren.[44]
Nicht zuletzt sind es erschreckende Fernwirkungen, die sich unvermutet
zeigen, gerade in der Verbindung der Deportationen der Zeit vor und nach
1945 mit den "ethnischen Säuberungen" etwa in Ex-Jugoslawien.[45]
Fernwirkungen anderer Art zeigten sich in der Berücksichtigung der territorialen
Bestimmungen des Zwei-plus-Vier-Vertrages. Sie folgten den Entscheidungen,
die in Potsdam zwar rechtlich nur vorläufig getroffen worden waren, die
aber 1990 außer Streit gestellt worden sind. Das Potsdamer Abkommen ist
im Zwei-plus-Vier-Vertrag nicht ausdrücklich erwähnt worden, doch lieferte
es die faktische Ausgangssituation[46]
für weitreichende Vertragsbestimmungen des Jahres 1990.[47]
Auch diese Fernwirkung könnte nur schwer auf eine juristische Ausnahmesituation
gestützt werden. Nicht zuletzt die bewußte Offenheit der Verträge in
der Frage der Begründung der territorialen Veränderungen beläßt den
Parteien und politisch Betroffenen die Möglichkeit, den eigenen - entgegengesetzten
- Standpunkt zur Beurteilung etwa der Oder-Neiße-Linie beizubehalten.[48]
Auch insoweit kann man nicht von einer jegliche Diskussion erstickenden
historisch-juristischen Ausnahmesituation ausgehen.
b) Die Nürnberger Rechtsprinzipien
Die Annahme einer dominanten juristischen Ausnahmesituation läßt sich
auch kaum mit den Rechtsprinzipien vereinbaren, die für den Nürnberger
Internationalen Militärgerichtshof aufgestellt wurden und in den Akzentuierungen
ihre Wurzeln finden, die auch in der HLKO selbst verankert sind. Die schon
frühe Qualifizierung als humanitäres Völkergewohnheitsrecht schuf Maßstäbe
der HLKO, die unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg auch den alliierten
Siegermächten Grenzen setzten.[49]
Versuche, diese Grenzen in einem juristischen Niemandsland zwischen Debellatio
und occupatio bellica versickern zu lassen,[50]
verzeichneten trotz anfänglicher Irritationen keinen dauerhaften Erfolg.
Ebensowenig der entgegengesetzte Versuch, die HLKO ohne Rücksicht auf
ihre durch sie selbst vorgesehene Fortbildungsmöglichkeit[51]
starr und unbeweglich anzuwenden. Die in Nürnberg praktizierten Grundforderungen
des humanitären Völkerrechts waren auf unmittelbare Gestaltung des Völkerrechts
angelegt und erhielten in diesem Sinne auch ohne Verzug die ausdrückliche
Billigung der Vereinten Nationen.[52]
Sie sind in die Tradition des bindenden Völkergewohnheitsrechts durch
den IGH aufgenommen worden.[53]
Versucht man, das Potsdamer Abkommen in die in Nürnberg entwickelten rechtlichen
Grundlinien einzuordnen, so ergeben sich augenfällige Widersprüche, die
aus der spezifischen Nachkriegssituation zu erklären sind. Das zeitgleiche
Nebeneinander zukunftsträchtiger Völkerrechtsgestaltung durch die Gründung
der Vereinten Nationen und die Praktizierung der Prinzipien der Nürnberger
Gerichtsbarkeit einerseits, die in manchen Teilen der Potsdamer Texte deutlich
heraustretende Mißachtung des geltenden Völkerrechts andererseits: beide
Elemente zählen zu der weitgehend unkoordinierten Phase eines rechtlich
oft gegenläufig[54]
und in besonderer Eile konzipierten Fortschreitens des Völkerrechts, einer
Phase, die in ihren sektoralen Stärken und Schwächen insgesamt vorauszusetzen
und bei einer Fortentwicklung zu berücksichtigen ist. Werden Uneinheitlichkeit
und Gegenläufigkeiten als Ausgangspunkte für künftige Besserungen verstanden,
so entfällt jeder Zwang, die zeitgleichen Entscheidungen des Jahres 1945
in toto als völkerrechtsmäßig oder völkerrechtswidrig qualifizieren
zu müssen. Es war daher konsequent, daß sich Chr. Tomuschat
in
erster Linie der Frage des angemessenen Friedensschlusses widmete, nicht
hingegen der pauschalen Frage einer möglichen Völkerrechtswidrigkeit.
Die Eigenart der Völkerrechtsfortbildung in der unmittelbaren Nachkriegszeit
liegt vielmehr in ihrer kriegsbedingten Zerklüftung begründet, ohne daß
von einer Ausnahmesituation gesprochen werden kann. Der parallelen Uneinheitlichkeit
der Staatenpraxis entspricht es vielmehr, den Widerspruch zum geltenden
Völkerrecht in einzelnen Bereichen gesondert zu prüfen und Entwicklungslinien
herauszuarbeiten.[55]
Unter diesen Voraussetzungen einer historisch geformten, rechtlich unkoordinierten
Staatenpraxis kann es nicht als juristisch anstößig gelten, entsprechende
Gegenläufigkeiten wissenschaftlich auszuloten und auf ihre zukunftsoffene
Ausbaufähigkeit hin zu untersuchen. Folglich kann wissenschaftlich auch
nicht ausgeschlossen werden, daß durch die Potsdamer Beschlüsse rechtlich
angestoßene faktische Vorgänge der Zeit nach 1945 in einen Vergleich
zu den zeitgleich rechtlich konsequent abgeurteilten Straftaten gebracht
werden. Ebensowenig könnte die durch die Satzung der Vereinten Nationen
vorgenommene Sonderbehandlung der "Feindstaaten" einen Hinderungsgrund
dafür abgeben, etwa die Geltung der Haager Landkriegsordnung für die
betroffenen Staaten von vorneherein zu leugnen.
3. Historisch geprägte Gestaltungsmöglichkeiten und die Frage der Systemgerechtigkeit
Für die Potsdamer Beschlüsse bedeutet dies nicht zuletzt, daß sie im
jeweiligen Normgefüge zu prüfen sind und nicht geschlossen oder pauschal
vorausgesetzt werden können. Historisch geprägte Offenheit enthält die
Gestaltungsmöglichkeiten für die Zukunft, solange die jeweilige Systemgerechtigkeit
beachtet wird. So entspricht es der HLKO, sie in erster Linie als Teil
des humanitären Völkerrechts zu sehen, nicht jedoch einseitig unter einem
territorialen Aspekt. Vorwürfe des Verstoßes der Potsdamer Beschlüsse
gegen die HLKO betreffen in erster Linie den humanitären Aspekt, nicht
jedoch die staatliche Zuordnung der betreffenden Territorien selbst. Folglich
ist eine unter dem Gesichtspunkt der HLKO am Potsdamer Abkommen formulierte
Kritik in erster Linie humanitär begründet. Die in Art. XIII behandelten
Deportationen ("transfer") sind lediglich insofern gebietsbezogen, als
die zwangsweise Trennung der Bevölkerung von ihrem Wohngebiet gerade die
humanitäre Komponente des Verstoßes gegen die HLKO ausmacht.Dennoch überwiegt
die personelle Komponente, und unter diesem Aspekt ist eine sektoral spezifische
Völkerrechtswidrigkeit der Potsdamer Beschlüsse zu beurteilen. Die Kritik
an den in Art. XIII gebilligten Massenvertreibungen gilt diesem Aspekt,
dem territorialen Element nur am Rande. Umgekehrt: die an der territorialen
Komponente orientierten Stabilitätserwägungen, die politisch im Hintergrund
der Erklärungen des U.S. State Department stehen mögen, zielen auf einen
Rechtszusammenhang, der das Humanitäre nicht erfaßt, es ausklammert und
insofern verfehlt. Das "Infragestellen" der Potsdamer Beschlüsse bezieht
sich auch aus diesem Grund bezüglich des Art. XIII zentral auf den humanitären
Aspekt der Deportationen.Die in sich undifferenzierte Behauptung, das Potsdamer
Abkommen ruhe, aus der Sicht des Jahres 1996, fest im Völkerrecht, schließt
bei der zeitorientierten Beurteilung den Fortschritt aus, den das Völkerrecht
seit dem Kriegsende auf dem Gebiet des humanitären Völkerrechts und in
bezug auf den Schutz der Menschenrechte unbezweifelbar zu verbuchen hat.[56]
Sie vernachlässigt zudem die Interpretation des Potsdamer Abkommens, die
dieses in dem hier behandelten Bereich bald nach dem Kriege in den Vereinigten
Staaten selbst zu verzeichnen hatte.[57]
Die davon abstrahierende Erklärung vom 14.2.1996 mag zwar von einem wichtigen
Kritiker als "peinlich" bezeichnet werden,[58]
doch ändert dies nichts an der so und nicht anders offiziell vorgenommenen
Bewertung des Potsdamer Abkommens durch wichtige Vertragspartner des Jahres
1945 im Jahre 1996.
4. Deportationen als notwendige Kosten territorialer Stabilität?
Als Ausweg böte sich an, die Erklärungen von 1996 als lediglich politische
zu bewerten und ihnen jeglichen Rechtsgehalt abzusprechen. Dies erscheint
wegen der deutlichen juristischen Bezugnahme vor allem der amerikanischen
und britischen Erklärung nicht möglich. Doch zeigt sich in diesem Punkte
bereits eine Möglichkeit der politischen "Entlastung". Die Erklärungen
von 1996 sind erkennbar von dem Wunsch nach Erhaltung der Stabilität der
Nachkriegsordnung getragen und verkennen wohl aus diesem Grunde die Grenzen,
die das Völkerrecht heute in bezug auf das Potsdamer Abkommen deutlich
werden läßt. Der Wille zur Erhaltung der territorialen Stabilität im
Nachkriegs-Europa nimmt - auch in seinem unausgesprochenen Bezug auf den
Zwei-plus-Vier-Vertrag[59]
- die unvorstellbare Dimension der Deportationen und Menschenopfer der
Zeit nach 1945 als notwendige "Kosten" der Stabilität in Kauf.[60]
Eine ernste Besorgnis ist der Erklärung der USA insofern nicht abzusprechen.
Daß die Erklärung einer zeitgerechten Fortschreibung des Völkerrechts,
insbesondere auf humanitärem Gebiet, große Hindernisse in den Weg legt,
zählt wohl ebenfalls zu den akzeptierten oder nicht gesehenen "Kosten",
zu denen nicht zuletzt auch die Opfer auf polnischer Seite zu rechnen sind,
die im Rahmen der "Westverschiebung" Polens im Osten des Landes zu beklagen
waren. Zu den "Kosten" rechnet wohl auch der Tonfall mancher Teile der
amerikanischen Erklärung, der noch aus der Zeit vor Abschluß des Zwei-plus-Vier-Vertrages
zu stammen scheint, insbesondere der bereits behandelte Abs. 3. Daß schließlich
dem Anlaß der Erklärungen - den deutsch-tschechischen Verhandlungen -
jeder territoriale Destabilisierungseffekt fehlte, macht nur ein anderes,
bisher nicht eigens genanntes Charakteristikum der westlichen Erklärungen,
mit Abstrichen allerdings der französischen, deutlich: ihre Überflüssigkeit.
F u ß n o t e n
[1]
Aus der älteren Literatur vgl. lediglich F. Faust,
Das Potsdamer
Abkommen und seine völkerrechtliche Bedeutung, 4. Aufl. 1969; J. Hacker,
Sowjetunion
und DDR zum Potsdamer Abkommen , 1968; E. Deuerlein, Deklamation
oder Ersatzfrieden?, Die Konferenz von Potsdam 1945, 1970; A. Fischer
u.a.,
Potsdam und die deutsche Frage, 1970; E. Deuerlein,
Potsdam 1945.
Ende und Anfang, 1970;
F. Klein,B. Meissner
(Hrsg.), Das Potsdamer
Abkommen und die Deutschlandfrage, I. Teil, 1970; B. Meissner,Th. Veiter
(Hrsg.),
Das Potsdamer Abkommen und die Deutschlandfrage, II. Teil, 1987; A.
M. de Zayas,
Nemesis at Potsdam, 2. Aufl., 1979; ausf. weitere Literaturangaben
bei O. Kimminich,
Der völkerrechtliche Hintergrund der Aufnahme
und Integration der Heimatvertriebenen und Flüchtlinge in Bayern, 1993,
S. 31 ff., 235 ff. Aus der neueren Literatur vgl. weiter K. Ipsen, W.
Poeggel
(Hrsg.), Das Verhältnis des vereinigten Deutschlands zu den
osteuropäischen Nachbarn - zu den historischen, völkerrechtlichen und
politikwissenschaftlichen Aspekten der neuen Situation, 1993; Das Potsdamer
Abkommen und der Zwei-plus-Vier-Vertrag. Die Klammer der deutschen Nachkriegsgeschichte,
hrsg. v. der Friedrich-Ebert-Stiftung, Landesbüro Brandenburg, 1995 (mit
Beiträgen von H. O. Bräutigam,W. Poeggel, Chr. Tomuschat
und
H.
Misselwitz
);
B. Meissner, D. Blumenwitz, G. Gornig (Hrsg.):
Das Potsdamer Abkommen, III. Teil: Rückblick nach 50 Jahren, 1996; B.
Kempen, Die deutsch-polnische Grenze nach der Friedensregelung des
Zwei-plus-Vier-Vertrages, 1997, S. 63 ff., 249 ff.; W. Czaplinski,
Das
Potsdamer Abkommen nach 50 Jahren aus polnischer Sicht, Die Friedens-Warte
72 (1997), S. 49 ff. [2]
Vgl. etwa die Beiträge in H. Timmermann
(Hrsg.), Potsdam 1945,
Konzept, Taktik, Irrtum?, 1997; ferner die Beiträge von D. Blumenwitz
und
G.
Gornig
in: B. Meissner, D. Blumenwitz
,
G. Gornig
(Hrsg.),
a.a.O. (Anm. 1), S. 91 ff., 103 ff. [3]
Vgl. die Erklärungen der Vereinigten Staaten und Großbritanniens vom
14. Febr. 1996 sowie die Erklärung Frankreichs vom 16.2.1996, abgedr.
in: Die Friedens-Warte 72 (1997), S. 107/108. [4]W.
Fiedler,
Die völkerrechtlichen Präzedenzwirkungen des Potsdamer Abkommens
für die Entwicklungen des allgemeinen Völkerrechts, in: H. Timmermann
(Hrsg.),
a.a.O. (Anm. 2), S. 293 ff., 303. [5]J.
Hacker
hat sich mehrfach zum Potsdamer Abkommen geäußert. Erwähnt
seien neben den bereits genannten Schriften nur: Einführung in die Problematik
des Potsdamer Abkommens, in: f.
Klein,B. Meissner, a.a.O. (Anm.
1), S. 5 ff.; Die Entmilitarisierungs-Bestimmungen des Potsdamer Abkommens
in: B. Meissner, Th. Veiter,
a.a.O. (Anm.1), II, S. 77 ff.; Die
Nachkriegsordnung für Deutschland auf den Konferenzen von Jalta und Potsdam,
in: W. Becker
(Hrsg.), Die Kapitulation von 1945 und der Neubeginn
in Deutschland, 1987, S. 1 ff.; weitere Nachweise in J. Hacker,
Der
Ostblock, 1983, S. 961 f.; ders., Integration und Verantwortung,
1995, S. 356 ff. [6]J.
Hacker,
Die Fremdbestimmung: Übernahme der obersten Gewalt und Potsdamer
Konferenz, in: Deutschland in der Weltordnung 1945 -1995, Schriftenreihe
der Ges. f. Deutschlandforschung, Bd. 47, 1996, S. 13 ff., 34 f.; W.G.
Grewe,
Friede durch Recht?, 1985, S. 12 f. [7]Chr.
Tomuschat,
How to Make Peace after War - The Potsdam Agreement of 1945
Revisited, Die Friedens-Warte 72 (1997) 1, S. 11 ff.; vgl. ferner
R.G.
Steinhardt,
The Potsdam Accord - Ex Nihilo Nihil Fit?, ebd., S. 29
ff. [8]
Ebd., S. 28. [9]
Näher
Chr. Tomuschat,
ebd., S. 24 f. [10]
IGH, Advisory Opinion requested by the General Assembly, HRLJ 17 No. 7-10,
S. 253 ff. [11]
Ebd., S. 265 f., Nr. 80, 81 (unter dem Gesichtspunkt des humanitären Völkerrechts). [12]
Vgl. aus neuerer Zeit nach wie vor W. Poeggel
und R. Badstübner,
in:
K.
Ipsen, W. Poeggel
(Hrsg.), a.a.O. (Anm. 1), S. 23 ff., 29 f., 31 ff.;
vgl. auch W. Czaplinski,
a.a.O. (Anm. 1), S. 49. [13]
Zur Position Frankreichs J.A. Frowein,
Potsdam Agreements on Germany
(1945), in: R.Bernhard (Hrsg.), Encyclopedia of Public International
Law (EPIL), Inst. 4 (1982), S. 141 ff., 143, J. Hacker, a.a.O. (Anm.
5), Einführung, S. 12 f. [14]
Vgl.
J. Hacker, a.a.O. (Anm. 5), Einführung, S. 22; W. Fiedler,
a.a.O.
(Anm. 4), S. 294 f.; Chr. Tomuschat,
a.a.O. (Anm. 7), S. 22. [15]
Sie konnte schließlich am 21. Jan. 1997 unterzeichnet werden, Text in:
Bulletin des Presse- und Informationsamts der Bundesreg. v. 22.1.1997,
S. 61 f. [16]
Die Erklärung vom 14.2.1996 hat folgenden Wortlaut:"The conclusions of
the Potsdam Agreement were endorsed by the Governments of the UK, USA and
the USSR at Potsdam in July/August 1945. As far as the United Kingdom is
concerned, the conclusions were soundly based in international law. The
Potsdam conference recognised that the transfer of the German population
of Czechoslovakia had to be undertaken, and that it should be effected
in an orderly and humane manner." [17]
Die Erklärung vom 16.2.1996 lautet:"Dès lors que l'objectif est de "tirer
un trait sur le passé", je ne pense pas qu'il soit particulièrement indiqué
de revenir sur la question des accords de Potsdam, et ceci pour deux raisons:-
la France n'a pas participé à la Conférence de Potsdam. Elle est donc
dans une situation différente des Etats-Unis, de la Grande-Bretagne et
de l'URSS;- il s'agit d'un chapitre historique qui est clos.Le véritable
problème est celui de l'avenir, qui ne doit pas être l'otage du passé.
Or l'avenir, c'est d'abord l'adhésion à l'Union européenne. Sur ce point,
la position de la France est bien connue: soutien plein et entier à la
candidature tchèque." [18]
Vgl. auch die Hinweise von Chr. Tomuschat
auf die faktische
Kompetenz der Alliierten, zugleich aber auf ihre ungewisse rechtliche Basis,
a.a.O. (Anm. 7), S. 17 f. [19]
Vgl. aus neuerer Zeit lediglich B. Meissner,
Die Potsdamer Konferenz,
in: B. Meissner, D. Blumenwitz
,
G. Gornig
(Hrsg.), a.a.O.
(Anm. 2), S. 9 ff., 11 ff. m.w.Nw. [20]
Vgl. statt anderer die ausführliche und behutsame Interpretation von O.
Kimminich,
Potsdam und die Frage der Vertreibung. Folgen für Geschichte
und Kultur Ost- Mitteleuropas, in: B. Meissner, D. Blumenwitz
,
G
. Gornig (Hr
sg.), a.a.O. (Anm. 2), S. 33 ff. [21]
Text bei I. v. Münch,
Dokumente des geteilten Deutschland, 2. Aufl.,
1976, S. 42 f. [22]
Vgl.
O. Kimminich,
a.a.O. (Anm. 20), bes. S. 47 ff. [23]
Näher
W. Fiedler,
a.a.O. (Anm. 4), S. 299 f. [24]
Vgl. für die Oder-Neiße-Gebiete nunmehr die Zahlenangaben bei B. Kempen,
a.a.O.
(Anm. 2), S. 66, zu denen die über 3 Mill. Menschen aus den Sudetengebieten
hinzutreten, sowie die Vertriebenen, die in den anderen osteuropäischen
Gebieten seit Jahrhunderten gelebt hatten; dazu W. Fiedler,
a.a.O.
(Anm. 4), S. 301 ff. [25]
Vgl.
H. v. Mangoldt,
Die Vertriebenen im Staatsangehörigkeitsrecht,
in: D. Blumenwitz (Hrsg.), Flucht und Vertreibung, 1987, S. 161
ff.; S. Krülle, Options- und Umsiedlungsverträge, ebd., S. 131
ff. [26]
Vgl. nur: Die Nachkriegsordnung für Deutschland auf den Konferenzen von
Jalta und Potsdam, in: W. Becker, a.a.O. (Anm. 5), S. 1 ff., 16
ff.: "Jede einzelne Bestimmung des Potsdamer Abkommens bedarf einer näheren
Prüfung darauf hin, ob ihr Frankreich zugestimmt hat oder nicht und ob
sie Gegenstand eines amtlichen Vorbehalts war oder nicht". Eingehend jetzt
D.
Hüser, Frankreich und die Potsdamer Konferenz - Die deutsche Einheit
in französischer Perspektive, in: H. Timmermann (Hrsg.), a.a.O.
(Anm. 2), S. 59 ff., bes. S. 68 ff. m.w.Nw. [27]
der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Gruppe der PDS. [28]
BT-Drucks 13/4439 v. 23.4.1996. [29]
Ebd., S. 4 f. [30]
Ebd., S. 3. [31]
Ebd. [32]O.
Kimminich
wies 1996 deutlich auf "beunruhigende Perspektiven" hin:
"Die Vertreibung von 1945/46 hat offenbar in den Vertreiberstaaten mentale
Wirkungen erzeugt, die nicht durch Grenzanerkennungen, Bekenntnisse zum
Gewaltverbot und zur Versöhnung, Hilfsbereitschaft und Milliardeninvestitionen
zu verändern sind. Es sind Wirkungen, die das ethische Fundament der dort
neu zu errichtenden Rechtsordnungen gefährden und damit die Zukunft Ost-
und Mitteleuropas in düsterem Licht erscheinen lassen", a.a.O. (Anm. 20),
S. 51. [33]
Dieses ruhte seinerseits u. a. auf dem Gebietsabtretungsvorschlag Frankreichs
und Großbritanniens vom 19. Sept. 1938, den die Tschechoslowakei am 21.
Sept. 1938 annahm, vgl. Doc. on British Foreign Policy; 3. Reihe, Bd. II,
1949, S. 404 ff., 447 f. [34]
Nachweise bei W. Fiedler,
a.a.O. (Anm. 4), S. 297; vgl. auch Chr.
Tomuschat,
a.a.O. (Anm. 7), S. 17. [35]
Ebd., S. 13. [36]
Positiv etwa in bezug auf die Einrichtung eines Internationalen Strafgerichtshofs,
vgl. Chr. Tomuschat, a.a.O. (Anm. 7), S. 28; vgl. bereits J.A.
Frowein, Ermutigender Neubeginn, FAZ, 28.9.1996, Beilage. Zur Fortentwicklung
der Tribunale von Tokyo und Nürnberg zu einem Weltgerichtshof vgl. nunmehr
H.-P.
Kaul, Auf dem Weg zum Weltstrafgerichtshof, Vereinte Nationen 5/1997,
S. 177 ff. Zu den Impulsen durch das "Nürnberger Recht", Y. Ternon,
Der verbrecherische Staat, 1996, S. 26 ff. [37]
A.a.O. (Anm. 7), S. 23. [38]
Vgl. auch W. Fiedler,
a.a.O. (Anm. 4), S. 300 ff. [39]Chr.
Tomuschat,
a.a.O. (Anm. 7), S. 23. Deutlich wird durch diesen Autor
auch gemacht, daß ähnliche Bestrafungsaktionen bei späteren, selbst
schweren kriegerischen Konflikten nicht mehr durchgeführt wurden und auch
die Entwürfe der ILC den Strafaspekt, etwa bei Gegenmaßnahmen, ausschlossen,
ebd., S. 14 ff. [40]
Report of the ILC, 48. Sitzg., 6. - 26. Juli 1996, GA Off. Rec., 51. Sitzg.
(A/51/10), S. 14. Zu erwähnen ist ferner Art. 20 des Entwurfs, ferner
die Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermords vom
9.12.1948, die in Art. II bestimmte Handlungen erfaßt, "die in der Absicht
begangen (werden), eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse
Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören" (UNTS Vol. 78, p.
277; BGBl. 1954 II, S. 730). [41]
Etwa die Notwendigkeit schneller Entscheidung, vgl. Chr. Tomuschat,
a.a.O.
(Anm. 7), S. 12. [42]
Vgl. jetzt auch Chr. Tomuschat,
Die Vertreibung der Sudetendeutschen,
ZaöRV 56 (1996), S. 1 ff., 34 f. [43]
A.a.O. (Anm. 30). [44]
Damit zugleich den "engen, wesensmäßigen und notwendigen Zusammenhang
zwischen Völkerrecht und politischem System", vgl. W.G. Grewe,
Epochen der Völkerrechtsgeschichte, 1984, S. 25. [45]
Vgl. etwa K. Ipsen,
in: K. Ipsen, W. Poeggel
(Hrsg.), a.a.O.
(Anm. 1), S. 97. [46]
Vgl. dazu J. Hacker,
a.a.O. (Anm. 6), S. 35, der zutreffend feststellt,
die staatliche Spaltung Deutschlands gehe nicht auf Vereinbarungen der
Alliierten zurück, sondern sei die Folge der 1945 einsetzenden politischen
Entwicklung. Art. 1 Abs. 2 des Zwei-plus-Vier-Vertrages bestätigt die
fehlende bzw. umstrittene rechtliche Urheberschaft von Potsdam. Vgl. auch
die Bezugnahme auf das Potsdamer Abkommen in der sowjetischen Erklärung
zum Beginn der Zwei-plus-Vier-Verhandlungen vom 14.3.1990, EA 1990 I, D
493. [47]
So insbesondere für die territoriale Regelung des Art. 1; vgl. auch Chr.
Tomuschat,
a.a.O. (Anm. 7), S. 21 f. Ausführlich
J. Hacker
,
Die Interpretation der Drei- und Vier-Mächte-Beschlüsse über Deutschland
von 1944/45 durch die UdSSR und DDR, in: B. Meissner, D. Blumenwitz,
G. Gornig,
a.a.O. (Anm. 1), S. 135 ff., 149 ff. [48]
Zur Position Polens vgl. etwa A. Uschakow, in: B. Meissner, D. Blumenwitz,
G. Gornig (Hrsg.), a.a.O. (Anm. 1), S. 155 ff., 156 ff.; ders.,
in: B. Meissner, Th. Veiter,
a.a.O. (Anm. 1), S. 179 ff.; B.
Ihme-Tuchel, Die "Friedensgrenze" an Oder und Neiße und die ostdeutsch-polnische
"Völkerfreundschaft" in den fünfziger Jahren, in: H. Timmermann,
a.a.O. (Anm. 2), S. 306 ff.; aus polnischer Sicht, aber noch im alten Stile,
W.
Czaplinski,
a.a.O. (Anm. 1), S. 52 ff. [49]
Zur notwendigen Differenzierung im Umgang mit den Kriegsverbrecherprozessen
nach 1945 und ihrer Reichweite ausführlich B. Schöbener, Kriegsverbrecherprozesse
vor amerikanischen Militärgerichten: die Dachauer Prozesse, in: B.
Meissner, D. Blumenwitz, G. Gornig
(Hrsg.), a.a.O. (Anm. 1), S. 53
ff. [50]
Kennzeichnend das Gutachten der Völkerrechtsabteilung des Heeresministeriums
der Vereinigten Staaten zur Anwendbarkeit der Haager Landkriegsordnung
und Genfer Konvention auf das besetzte Deutschland vom 10. Dez. 1945, Text
in: JIR 6 (1956), S. 300 ff. Zur umfangreichen Diskussion in Deutschland
vgl. aus spezieller Perspektive W. Fiedler,
Safeguarding of Cultural
Property during Occupation - Modifications of the Hague Convention of 1907
by World War II?, in: M. Briat, J.A. Freedberg
(Hrsg.), Legal Aspects
of International Trade in Art, 1996, S. 175 ff., bes. S. 180 f. [51]
Zur Martens'schen Klausel ders., ebd., S. 181. [52]
Vgl. die Bekräftigung der Nürnberger Prinzipien durch die Generalversammlung
der UN vom 11. Dez. 1946, UN-Res. Ser. I, Vol. I (1946-1948), S. 175. [53]
Zuletzt im Gutachten des IGH vom 8.7.1996, vgl. oben Anm. 10. [54]
So etwa in bezug auf den in der Berliner Erklärung der Vier Mächte vom
6.6.1945 ausdrücklich formulierten Annexionsverzicht und die fast zeitgleich
durch die Potsdamer Beschlüsse zur Deportation der Bevölkerung ("transfer")
faktisch ermöglichten Annexionsvoraussetzungen. Daß die Nürnberger Prozesse
wenig später die Verstöße gegen das völkerrechtliche Annexionsverbot
mit zum Maßstab der Anklage erhoben, liefert aus heutiger Sicht einen
nur schwer nachvollziehbaren Akzent. Vgl. auch die früheren Ausführungen
von Chr. Tomuschat zum Territorialbezug des Selbstbestimmungsrechts,
das auch "das anerkannte Siedlungsgebiet eines Volkes" schütze (Staatsvolk
ohne Staat?, in: Festschrift für Doehring, 1989, S. 985 ff., 999). Zur
Widersprüchlichkeit der Rechtslage vgl. auch Chr. Tomuschat, a.a.O.
(Anm. 42), S. 33. W. Czaplinski,
a.a.O. (Anm. 1), orientiert sich
hingegen mehr am Verhalten der Nationalsozialisten (als Gegenpol) denn
am Völkerrecht selbst, vgl. etwa S. 53 f. ("kann das Verhalten Nazi-Deutschlands
in diesem Fall die Entscheidung der Alliierten rechtfertigen"). [55]
Vgl. zu einem entsprechenden Ansatz R.G. Steinhardt, a.a.O. (Anm.
7), bes. S. 38 ff. [56]L.
Henkin,
Human Rights, in: R. Bernhardt
(Hrsg.), Encyclopedia
of Public International Law, Vol. 2 (1995), S. 886 ff.; Th. Meron,
Human Rights and Humanitarian Norms as Customary Law, 1989; O. Kimminich,
Die Menschenrechte in der Friedensregelung nach dem Zweiten Weltkrieg,
1990, S. 61 ff.; R.B. Lillich, Humanitarian Intervention through
the United Nations: Towards the Development of Criteria, ZaöRV 53 (1993),
S. 576; B. Cossman, Reform, Revolution, or Retrenchment? International
Human Rights in the Post-Cold War Era, HIJL 32 (1991), S. 339 ff.; J.G.
Merrills, The Development of International Law by the European Court
of Human Rights, 1988; P. Thornberry, International Law and the
Rights of Minorities, 1991. [57]
Vgl. nur A.M. de Zayas,
US-Politik hinsichtlich der Vertreibung
und Deutschlands östliche Grenzen nach Potsdam, sowie B. Meissner,
George
Marshall und die Gebiete östlich der Oder und westlichen Neiße auf der
Moskauer Tagung der Außenminister 1947, in: George Marshall, Deutschland
und die Wende im Ost-West-Konflikt, bearb. v. Chr. Dahm und
H.-J.
Tebarth,
hrsg. v. d. Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen, 1997,
S. 57 ff., 13 ff. [58]
So
A.M. de Zayas,
ebd., S. 71. [59]
Vgl. auch Art. 1 Abs. 1 S. 3 des Zwei-plus-Vier-Vertrages:"Die Bestätigung
des endgültigen Charakters der Grenzen des vereinten Deutschlands ist
ein wesentlicher Bestandteil der Friedensordnung in Europa". Der Stabilitätsaspekt
tritt nicht zuletzt in der Präambel hervor. [60]
Zur Bedeutung des Stabilitätsfaktors für das Verständnis der Potsdamer
Beschlüsse aus östlicher Sicht kennzeichnend etwa
R. Badstübner,
Das
Jaltaer / Potsdamer Friedensprojekt - realistische oder utopische Weichenstellung
für eine dauerhafte Friedensordnung in Europa?, in: K. Ipsen, W. Poeggel
(Hrsg.),
a.a.O. (Anm. 1), S. 31 ff. Zu den "human costs" in bezug auf Art. XIII
vgl. aber R.G. Steinhardt, a.a.O. (Anm. 7), S. 29.
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